Conversational Commerce: Die neue Form der Kundenkommunikation.

Von Laurent Burdin und Sarah Pulfer

Jeder hat es schon erlebt oder beobachtet: „Was? Keine Text-Nachricht seit 30 Minuten! Was ist denn los?“. Es ist so weit: Messaging-Apps dominieren weltweit die digitale Nutzung. WhatsApp, Facebook Messenger und WeChat stehen in allen App-Download-Rankings an der Spitze. Wir befinden uns am Beginn einer Ära, in der Menschen daran gewöhnt sind, in der digitalen Welt „Konversationen“ zu führen, sich auszutauschen, Gedanken, Ideen und Meinungen (mit)teilen zu können oder auf Social-Media-Plattformen „einfach mal den eigenen Senf dazugeben zu können“ – und zwar sowohl im Privaten als auch im Büro mit Slack oder anderen professionellen Tools wie Microsoft Teams.

Die Entwicklung scheint auf den ersten Blick banal, mittelfristig bewirkt sie jedoch einen wesentlichen Wandel im Kommunikations- und Konsumverhalten der Menschen: Voice-Assistenten, Bots, Konversation und die neuen Geschäftsmodelle, die sich dahinter entwickeln, werden in den Massenmarkt gepusht. Konversation? Eine ganz natürliche, menschliche Eigenschaft, jetzt dominant in der digitalen Welt.

Großer Vorteil dieser schönen neuen Welt des Conversational Commerce: Der Einsatz von Chatbots kann mehr Effizienz in die Kundeninteraktion bringen und zugleich für mehr Kontrolle bei den Antworten des nun künstlich intelligenten Kundendienstes sorgen. So hat es Telefónica Deutschland in nur wenigen Wochen geschafft, durch den Chatbot „Lisa – unsere virtuelle Online-Hilfe“ auf der Website von O2 das Anfrage-Volumen beim Kundendienst via Chat und Hotline um etwa 8.000 Kontakte pro Woche zu entlasten. 55 Prozent der Anfragen für Lisa werden komplett fallabschließend in zwei bis drei Sekunden bearbeitet. Den Rest muss ein Agent manuell freigeben und der Kunden hat seine Antwort innerhalb einer halben Minute.

Der Chatbot LISA hilft O2-Kunden direkt auf der Website des Unternehmens.

Im Modehandel wiederum führt der Einsatz von Bots dazu, dass die Marke oder der Händler automatisch versteht, dass der Kunde nach einer anderen Farbe des Produkts oder einer anderen Größe fragt. Dafür muss das Unternehmen keinen Mitarbeiter abstellen, stattdessen kann ein Chatbot oder Sprachassistent die Frage nahezu in Echtzeit beantworten.

Begriffsklärung ist schwierig, aber entscheidend

Die neue Ära der Chatbots und Sprachassistenten bringt zahlreiche Fachbegriffe auf unterschiedlichen Ebenen mit sich. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Plattformen, englischen Begriffen und technischen Fachausdrücken. Eine hilfreiche Regel, um Verwirrung während der Konzeption eines eigenen Conversation Interface oder Bot-Projektes zu vermeiden: nie an dem Thema arbeiten, ohne vorher die Terminologie mit allen Beteiligten zu klären.

Glossar mit Begrifflichkeiten

  • Conversational Interface: Bedienung des Endgeräts (Mobiltelefon, Lautsprecher, Fernseher, Auto) mit Text oder Stimme in Form einer Konversation
  • Messaging Apps: Alle Apps, in denen sich Nutzer unterhalten (z.B. WhatsApp, Facebook Messenger, WeChat, Snapchat oder Slack)
  • Messenger: Die Messaging-App von Facebook (nutzbar auch ohne Facebook-Account); „Cousine“ von WhatsApp
  • Voice Assistant: Ein virtueller Assistent, den man per Stimme steuern kann
  • Bot: Die Abkürzung von Robot. Eine kleine Software bzw. eine App, mit der etwas automatisiert wird
  • Chatbot: Ein Bot, der durch Konversation bedient wird (per Text oder Stimme)
  • Textbot: Ein Chatbot, ausschließlich gesteuert über Texteingabe
  • Voicebot: Ein Chatbot, gesteuert über die Stimme
  • Broadcast Bot: Ein Textbot mit der Hauptfunktionalität, Nachrichten oder Informationen automatisch an Nutzer zu senden
  • NLP: Natural Language Processing. Die Verarbeitung von natürlicher Sprache zu Code
  • Machine Learning: Ein Algorithmus, durch den Computersysteme selber lernen und sich damit stetig verbessern können

Chatbots werden immer besser und alltäglicher

Chatbots sind die erste Ausprägung eines größeren Phänomens. In Deutschland sind die ersten Bots in der Messenger-App von Facebook im Juni 2016 erschienen. Davon waren viele Broadcast Bots, die zum Beispiel täglich oder wöchentlich einen News-Überblick an die Nutzer schickten und die Nutzer dann mit diesen News interagieren konnten. Facebook verfügte zum Start bereits über eine gute Entwicklungsplattform und erlaubte viele Tools, tat aber wenig, um die Nutzer des Messengers über Bots zu informieren. Daher waren die ersten Nutzer tech-orientierte Early Adopter. Heute werden Bots in vielen Bereichen weiterentwickelt: Customer Support, Shopping-Beratung, Alltagstätigkeiten und sogar um eine Sprache zu lernen. Auch die Nutzung hat stark zugenommen. Zudem hat Facebook im Messenger in Deutschland im März 2018 ein “Entdecken-Tab” gelauncht, damit noch mehr Nutzer mit Chatbots kommunizieren können. Gutes Timing: die Chatbots werden besser und können einfacher von einer breiteren Masse angenommen werden.

Kaufvorgänge in Chatbots sind von Facebook nur eingeschränkt möglich. In den USA und Großbritannien stellt der Messenger jedoch bereits eine Payment-­Lösung zur Verfügung und macht somit den direkten Kauf von Produkten oder Dienstleistungen möglich. Mit Sicherheit wird dies auch bald in Deutschland möglich sein. Bei Amazon funktioniert es bereits: mit der Sprachassistentin Alexa kann man per Stimme unkompliziert eine Einkaufsliste zusammenstellen und Produkte kaufen.

Neue digitale Gewohnheiten – in Konversation mit der Marke

Nutzer haben über die letzten Jahre – vor allem durch Facebook – den Umgang mit Social Media gelernt: kurze Texte schreiben, knackige Headlines auswählen, passende Hashtags festlegen, Bilder posten, Posts kommentieren oder darauf reagieren (like, wow, angry, etc.), Freunden folgen oder abonnieren. Das erlernte Repertoire wird auch in anderen Apps wie Snapchat, Instagram oder im beruflichen Kontext auf Slack oder Microsoft Teams angewandt und stetig erweitert. Die User übertragen die neuen digitalen Gewohnheiten auch auf ihre Kommunikation mit Brands.

Brands wiederum unterstützen dieses neue Verhalten der Konsumenten, indem sie es an- und übernehmen und nicht nur unbeholfene bzw. unpassende Werbung auf den Social-Media-Plattformen schalten. Sie erzählen Geschichten (oder „Stories“), veranstalten Events und engagieren sich durch direkte Konversation mit dem Kunden – klassisch auf Facebook oder automatisiert mit einem Bot im Messenger. Die Distanz zwischen Marke und Konsument hat sich aufgelöst – der neue unkomplizierte Konversationsstil wird zur Normalität.

Wichtig dabei ist, dass Brands diese Möglichkeit weder ausnutzen noch überstrapazieren. Genau das taten zu Beginn von Social Media die meisten Brands: es wurde sehr viel Werbung im Feed geschaltet (manchmal sinnlos und unpassend), Aktionen wurden ohne Motivation gestartet oder schlecht geschulte Social-Media-Manager durften direkt mit Konsumenten in den Dialog treten. Die Anbieter wie Facebook oder Twitter haben dabei nur zugeguckt und Werbebudget kassiert. 2018 ist jedoch das Jahr der großen Veränderungen: Viele große Marken gehen sehr vorsichtig mit Werbeausgaben in Social Media um, Facebook hat den Algorithmus zu Gunsten von Nutzern und ihren Freunden überarbeitet, und neue Plattformen wie Instagram und Snapchat bieten gute Alternativen zu etablierten Anbietern. Facebook will nach Druck durch den Cambridge-Analytica-Fall eine „gesündere“ und transparente Plattform erfinden.

Ein Bot ist ein Bot

Im Kontext der neuen digitalen Gewohnheiten entwickeln Marken Chatbots, die meisten in den Bereichen Service, Brand-Story oder Transaktion. Dabei muss für den Nutzer stets bewusst sein, dass es sich um einen Roboter handelt, mit dem gerade gesprochen wird. Insbesondere dann, wenn die Maschine, also der Bot, die Frage des Nutzers nicht beantworten kann. Best Practice ist es, nie so tun als ob ein Mensch hinter dem Bot steht: Ein Bot ist ein Bot.

Diese Bots werden über NLP-Plattformen trainiert und ständig verbessert. NLP steht für Natural Language Processing: aus Text wird ein Code und daraus ein Verständnis der Kundenfrage durch einen Computer. Basiert die NLP-Arbeit auf Machine Learning, kann der Bot sogar von allein lernen. Science-Fiction? Nein, mit Tools wie Dialogflow (Google) ist das schon heute auch auf Deutsch möglich.

Im Service-Bereich sind Bots so aufgebaut, dass, wenn der Bot die Frage nicht versteht, zunächst eine erneute, andere Formulierung der Frage verlangt wird (NLP ist natürliche Sprache). Führt auch dies nicht zum Erfolg, wird die Person zu einem Agenten oder Call-Center weitergeleitet – direkt oder zu einem festgelegten späteren Zeitpunkt.

Lieber Bot, ich möchte etwas kaufen

Chatbots werden vielfältig eingesetzt – immer mehr auch im Commerce-Bereich. Ein Chatbot kann eine Kaufentscheidung unterstützen (DinnerTalk Bot: Zutaten im Kühlschrank eintippen, Bot liefert Rezepte), eine Transaktion übernehmen (Ticket schnell und sofort kaufen – Beispiel KLM Bot), die Einkaufsliste per Sprachbefehl erstellen (Bring! Einkaufsliste auf Amazon Alexa) oder gute Verkaufsaktionen finden (Mydealz in Whatsapp). Alles ist denkbar, solange es im Format einer Konversation stattfinden kann und es eine Erleichterung für den Nutzer bedeutet – mit wenigen Schritten und einem schnellen Prozess.

Mit dem Chatbot „Kim“ bietet Maggi Kochrezepte im Facebook Messenger an. (Bild: Maggi)

Ein relativ bekannter Chatbot eines FMCG-Unternehmens ist zum Beispiel „Kim“ vom „Maggi Kochstudio“ aus dem Hause Nestlé. Der Chatbot kann auf 3.000 verschiede Kochrezepte zugreifen und weiß zu jeder Tageszeit den richtigen Rezept- und Kochtipp. Denn in Wirklichkeit ist Kim „ein ziemlich schlaues Computerprogramm, das über Eingaben im Facebook Messenger gesteuert wird und mit der man verschiedenste Chat-Unterhaltungen rundum die Uhr führen kann“, wie das Unternehmen den Chatbot auf seiner Website beschreibt.

Jedoch sollten Unternehmen nur dann einen Chatbot anbieten, wenn es wirklich Sinn macht, sagt Matthias Mehner, VP Innovation & Strategy bei WhatsBroadcast: „Immer wieder werde ich gefragt, was der Chatbot denn so ‚machen’ soll. Meine Antwort ist immer die gleiche: dein Marketing oder noch besser dein Unternehmensziel in den Mittelpunkt stellen. Oft sehe ich lustige Bots, die aber überhaupt keinen Mehrwert für die Marke haben und absolut austauschbar sind“.

Da Konsumenten enorm viel Zeit in Messaging-Apps (oder auch bald mit Voice-Assistenten) verbringen, haben sie sich daran gewöhnt, auf dieser einen Plattform alles zu tun: Bilder austauschen, mit Freunden chatten, Brands folgen oder eben auch ganz automatisch Produkte kaufen. Dieses Modell stammt aus China, konkret aus der Messaging-App WeChat. WeChat bietet Zugang zu vielfältigen Services und Dienstleistungen: Taxi bestellen, Pizza kaufen, Einkaufsliste zusammenstellen – also eine direkte Bestellung. Alles wird mit WeChat Pay bezahlt. Nicht genug Geld auf dem Konto? Dann bietet die WeChat-Bank einen Kredit. Die amerikanischen Akteure setzten mit Chatbots noch eins drauf. Die klare Tendenz: es wird alles in nur einer App erledigt.

Sprachassistenten – die neue große Welle

Wo finden wir Bots heute? Die dominierende Plattform ist der Facebook Messenger, auch dank eines sehr guten Ökosystems an Tools, um Bots zu bauen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben, denn die klare Message von Facebook Inc. ist: Alle innovativen Entwicklungen finden auf Messenger (und Instagram) statt, nicht auf Whatsapp (gehört auch zu Facebook Inc. – das vergessen viele).

Chatbots können für diverse Anwendungsfälle eingesetzt werden. (Grafik: Statista)

Die große neue Welle wird von den Sprachassistenten getragen, hauptsächlich gepusht durch Amazon Alexa und Google Assistant, der eine Kombination aus Voice und Text bietet. Voicebots geben den Nutzern eine Antwort auf Fragen. Vom Prinzip her funktionieren diese Plattformen wie Messenger, nur dass die Stimme zuerst in Text umgewandelt wird, um so weiterverarbeitet zu werden.

Sprachassistenten werden momentan in Millionen von Objekten integriert und so in die Haushalte kommen. Auch durch Werbung für Amazon Echo (Lautsprecher) oder den integrierten Google Assistant im Pixel-Smartphone werden die Assistenten in den Massenmarkt gepusht. Die Voice-Welle wird viele Bereiche beeinflussen. In Zukunft werden beispielsweise alle Autos mit Assistenten ausgestatten sein, und Voice im Auto wird für Konsumenten zum Alltag.

Die Auswirkungen von Voice auf Commerce und Brands sind dabei immens. Es entstehen komplett neue Herausforderungen: Wie werden Brands und Services zukünftig überhaupt gefunden oder empfohlen? Wie sehen die neuen Geschäftsmodelle aus, um aus dieser zunehmenden Gewohnheit Commerce zu machen? Die Antwort: Sie alle werden Bots (Text oder Stimme) entwickeln und implementieren. Dabei werden auch Professionals aus Marketing und Vertrieb Neues lernen und gewohnte Muster verlassen müssen, um diese Chancen effektiv zu nutzen.

Die Zeit ist gekommen, sich im Detail mit Conversational Interfaces und Bots zu befassen. Dringend. Sollen wir Ihnen das per Text-Nachricht als Erinnerung schicken? Dann hat auch die Wartezeit auf eine neue Nachricht im Messenger endlich ein Ende.

Über die Autoren:

Laurent Burdin und Sarah Pulfer von der Agentur Space and Lemon in Hamburg beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema “Conversational Interfaces” und beraten dazu Unternehmen verschiedener Branchen.

Whitepaper

Dieser Beitrag erschien zuerst im Whitepaper „Chatbots & Voice Commerce – wie digitale Assistenten das Einkaufserlebnis verändern“ von GS1 Germany, das mit freundlicher Unterstützung von mobilbranche.de erstellt wurde. Das Whitepaper können Sie hier kostenlos herunterladen!

Veranstaltungstipp

Mobile in Retail Conference 2018 – Seamless Shopping: Challenge für Finance, Brands & Retail

Am 16. und 17. Oktober 2018 treffen sich die Top-Entscheider und Führungskräfte aus Banking, Finance, Handel und Industrie auf der Mobile in Retail Conference in Berlin. Eines der Themen dort: Die Session „Bots, Skills & Actions: Mit digitalen Assistenten den Kunden abholen“.

Freuen Sie sich außerdem auf:

  • Brandneue Insights & Strategien zum Mobile Commerce
  • Hochkarätiges Speaker Line-up
  • Break-Out Sessions Payment, Omnichannel, Marketing
  • Networking-Abend mit dem Who is Who der Branche

Es erwarten Sie Vorträge von über 60 Referenten, u.a.:

  • Arne Pache, Vice President Global Products & Solutions, Mastercard
  • Jin Choi, Director DACH (CPG & Retail), Facebook
  • Christian Bärwind, Industry Leader Retail Strategic Partnerships, Google
  • Axel Weiß, Leiter Zahlungsverkehr/Payment, DSGV
  • Nicolas von Sobbe, Director Digital, McDonald’s
  • Claudius zur Linden, Director Business Development, Vapiano
  • Markus Gunter, CEO, N26 Bank

Das vollständige Programm können Sie hier einsehen. Melden Sie sich jetzt an und sichern Sie sich die Teilnahme zum Frühbucherpreis!

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