Facebook – das neue WeChat? Implikationen für Unternehmen und Nutzer.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg (PR-Bild: Facebook)

Mit seinem ausführlichen Statement „A Privacy-Focused Vision for Social Networking“ legte Mark Zuckerberg, CEO und Gründer von Facebook, vergangene Woche seine Pläne zur Weiterentwicklung der Facebook-Plattform offen. Die Kernaussage: Die verschiedenen Facebook-Dienste wie WhatsApp, Instagram, Messenger und Facebook werden auf einer gemeinsamen Messenger-Basis zusammengeschaltet. Darauf aufbauend gibt es dann die jeweiligen Funktionen der individuellen Dienste, zukünftig wohl auch erweiterbar durch Integration durch Drittfirmen über eine offene Plattform. Wem das bekannt vorkommt, dürfte sich bereits näher mit WeChat beschäftigt haben. Denn viel von dem, was Zuckerberg hier als Innovation anpreist, ist bei WeChat schon längst Realität. Was könnten – analog zu WeChat – die Implikationen für Unternehmen und Nutzer sein, wenn Zuckerbergs Vision Realität wird?

Von WeChat-Experte Sven Spöde

Eines ist bereits jetzt klar: Die Folgen für Werbetreibende auf Facebook und seinen Diensten –dürften gravierend sein. Bisher standen für sie in der Regel die Timelines der User im Vordergrund. Algorithmen bespielen diese mit Inhalten von Freunden, Firmenseiten und Werbeanzeigen – ganz individuell nach dem persönlichem Interaktionsverhalten der Nutzer und dem Targeting der Werbetreibenden. Stattdessen werden zukünftig private Interaktionen die Basis zukünftigen Facebook-Plattform-Stack sein.  Diese Basis wird, so Zuckerberg, verschlüsselt sein, sodass selbst Facebook nicht auf sie zugreifen kann. Im Umkehrschluss können sie also auch nicht die Basis für Machine-Learning und darauf aufbauendes Profiling sein. Die Attraktivität von Facebook als Werbeplattform wird dadurch sicherlich leiden. Und noch kann niemand sagen, ob nationale Regierungen und Ermittlungsbehörden, auch in Deutschland, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wirklich akzeptieren werden oder doch Backdoors und Zugänge erzwingen werden.

Interessanterweise ist auch „Reducing Permanence“ ein wichtiges Thema für Zuckerberg. Er möchte also Inhalte nur noch temporär speichern und greift damit die Idee des „Rechts auf Vergessen“ ein. Man munkelt, dies habe auch mit Zuckerbergs eigenem Texting-Verhalten zu tun. Wichtig sind ihm außerdem „Safety“, „Interoperability“ und „Secure Data Storage“. Kurz gesagt: Nutzer sollen sicher sein – so sicher jedenfalls, wie es durch Verschlüsselung eben möglich ist, denn Zuckerberg weißt bereits daraufhin, dass bestimmte Schutzmaßnahmen der Nutzer durch Verschlüsselung zukünftig nicht mehr möglich sein werden, da dann auch Facebook selbst keinen Zugriff mehr hat. Zudem sollen Nutzer von jeder der verschiedenen Apps aus der Facebook-Familie miteinander kommunizieren können. Daten sollen nur noch in Ländern gespeichert werden, die sich an Meinungsfreiheit und Menschenrechte halten. Das soll einen unberechtigten Zugriff auf die Daten verhindern. Ob Facebook auch bereit ist, gegebenenfalls die USA als Server-Standort aufzugeben und auf diverse weitere Märkte zu verzichten, bleibt unklar. Denn in immer mehr Ländern gilt die Vorschrift, dass Nutzer-Daten lokal gespeichert werden müssen. Hier geht Zuckerberg also ein großes Risiko ein. Es wird sicherlich spannend sein, zu sehen, ob Facebook sich aus einzelnen Ländern zurückziehen wird oder den dortigen Nutzern durch technische Maßnahmen an nationalen Blockaden vorbei den Zugang ermöglichen wird.

Doch was sind die Implikationen für Firmen und Nutzer, wenn diese Pläne Realität werden? Viel von dem, wie Zuckerberg sich den Aufbau der Plattform vorstellt, ist in China bereits Realität: Die WeChat-Plattform ist ähnlich aufgebaut, mit einer Einschränkung: Im Zentrum steht hier nicht Verschlüsselung, sondern der Mehrwert der Plattform für das tägliche Leben der Nutzer. Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gibt es bei WeChat derzeit nicht.

Ein Blick auf die Messaging-Plattform-Utopie WeChat

WeChat hat das Hauptziel von Zuckerbergs Vision bereits erreicht: „Private Interaction as a Foundation“, also Privat-Chats als Grundlage für das gesamte Ökosystem der Plattform. Fast die gesamte zwischenmenschliche digitale Interaktion läuft in China mittlerweile über WeChat – SMS, E-Mail und auch Telefon liegen weit abgeschlagen dahinter. Denn WeChat vereint die Vorzüge all dieser Tools in einem: Nutzer können miteinander schreiben, Sprachnachrichten schicken, oder telefonieren – auch per Video. Zahlungen zwischen Nutzern sind ebenfalls möglich. Dies hat dazu geführt, dass mittlerweile fast 90 Prozent der Chinesen, die ein Smartphone besitzen, täglich WeChat nutzen. E-Mail dagegen verwenden nur noch etwa 20 Prozent, egal ob privat oder geschäftlich – in deutschen Büros nicht vorstellbar.

Dies hat gravierende Auswirkungen auf Marketing und Kommunikation von Unternehmen. Wenn die private Interaktion im Vordergrund steht, reduzieren sich automatisch die Flächen für Unternehmensinhalte. So sind WeChat-Firmenseiten, die sogenannten „Official Accounts“, nur dann in privaten Interaktionen sichtbar, wenn ein Nutzer diesen aktiv folgt. Ansonsten gibt es relativ wenig Raum für Marken- und Unternehmensinhalte. Letztlich gibt es für Online-Marketing in WeChat nur zwei effektive Wege: Influencer-Marketing, d.h. Content-Distribution mit und über Nutzer, die sich selbst große Reichweiten aufgebaut haben, oder WeChat-Werbeanzeigen in Official Accounts von Medien und dem WeChat Newsfeed („Moments“). Dieser ist allerdings drei Klicks vom Startscreen entfernt.

Für den Nutzer ist eine Plattform, die persönliche, private Interaktionen in den Vordergrund stellt, ungemein wertvoll. Zusammen mit den erwähnten eingeschränkten Marketingmöglichkeiten führt das dazu, dass der Wert eines WeChat-Fans deutlich höher ist als der eines Facebook-Fans. Bei B2C-Firmen liegen die Kosten für einen Fan auf dem WeChat-Unternehmensseite bei bis zu 50 Euro, bei B2B-Firmen auch deutlich höher. Dies ist der Hauptgrund, warum in China immer mehr Digitalfirmen in die „echte“ Welt drängen und Händler und Marken ihre Ladengeschäfte und Produkte als digitale Touchpoints begreifen. Teilweise kommt es dadurch zu einer Renaissance von Print- und Außenwerbung: Gepaart mit QR-Codes, die zu WeChat führen, gewinnen Unternehmen so deutlich günstiger neue Fans  als mit Online-Marketing.

Übertragen auf Facebook-Dienste, die ja derzeit oft als Top-Of-The-Funnel-Touchpoints dienen, hätte das zweierlei Folgen: Erstens würde sich die Wertigkeit von Fans und Interaktionen deutlich erhöhen. Und zweitens fände die Fan-Akquise wohl verstärkt in der analogen Welt statt – kein Facebook-Marketing durch Praktikanten im Keller mehr. Dazu käme, eine noch stärkere Verzahnung von offline und online durch digitale Erweiterungen und Integrationen, etwa im Augmented-Reality-Bereich. Das Potenzial solcher Technologien könnte für die Kommunikations- und Marketingbranche noch richtig spannend werden.

Facebook will die Messenger-Funktionen seiner Apps zusammenlegen und sicherer machen (PR-Bild: Facebook)

Zukünftige Monetarisierung der Facebook-Plattform

Wohin der Weg führen könnte, zeigt ein vermeintlich harmloser Nebensatz in Zuckerbergs Statement:

„Beyond that, significant thought needs to go into all of the services we build on top of that foundation – from how people do payments and financial transactions, to the role of businesses and advertising, to how we can offer a platform for other private services.”

Eine wichtige Frage wird nämlich sein, wie Facebook mit diesem neuen Plattform-Modell Geld verdienen kann. Wenn die Werbekosten deutlich steigen und sich in die echte Welt verlagern, müssen neue Monetarisierungsmodelle her. Hier könnte Facebook sich, ähnlich wie von WeChat geplant, zur Business-Service-Plattform weiterentwickeln.

Bei WeChat ist es etwa möglich, Web-Apps als WeChat-Miniprogramme zu integrieren und hierüber eigene Dienste innerhalb der WeChat-Plattform anzubieten. Die WeChat-Miniprogramme dienen dabei als Frontend, die Intelligenz und Daten liegen auf den Servern der jeweiligen Firma. In China müssen Nutzer dadurch für Dienste wie Bike-Sharing, E-Commerce oder Video- und Musikstreaming keine Apps der jeweiligen Dienste mehr installieren, sondern diese einfach innerhalb von WeChat aufrufen. Mittlerweile gibt es mehr als eine Million WeChat-Miniprogramme – im Vergleich zu zwei Millionen Apps im App Store von Apple. WeChat ist aus dem Konflikt mit Apple siegreich hervorgegangen. Es bleibt abzuwarten, wie ein möglicher Kampf zwischen Facebook und Apple in diesem Bereich ausgehen wird. Wenn sich Super-Apps wie WeChat und der Facebook-Instagram-WhatsApp-Gigant durchsetzen, könnte das Zeitalter der Apps-Stores schneller vorbei sein, als viele derzeit denken.

Für Unternehmen bedeutet dies eine Welt, in der E-Mail-Marketing irrelevant ist, die eigenen Frontends wie Webseite und App nicht mehr nachgefragt werden und die Kosten für die Nutzerakquise deutlich ansteigen. Die Offline-Welt und analoge Produkte werden dadurch wieder zum wichtigen Spielfeld für Marketing und Kundeninteraktion – allerdings gekoppelt mit digitalen Conversion-Pfaden wie QR-Codes, Beacons und Augmented Reality.

Auch in die Kundenbindung werden Unternehmen mehr investieren müssen. Wenn es teurer wird, Fans zu gewinnen, ist es umso wichtiger, bestehende Kunden und Fans stärker an sich zu binden. Bei WeChat passiert dies über Newsletter, die wöchentlich per WeChat durch die Official Accounts an Fans verschickt werden können und die derzeit immer wichtiger werden. WeChat plant zudem, qualitativ hochwertigen Content noch stärker zu belohnen, um dadurch Unternehmen zu incentivieren, hier noch mehr zu investieren. Dazu kommen auch hier die WeChat-Miniprogramme, diesmal als digitale Mehrwertdienste für die Kundschaft, ob im B2C- oder B2B-Bereich.

Im Gegensatz zu bisherigen Unternehmensaktivitäten bei Facebook, Instagram und Co. werden Social Media und Messenger nicht mehr nur ein Spielfeld der Marketing-Abteilungen sein. Wegen der hohen Kosten für die Fan-Akquise werden sich zunehmend auch Produkte und digitale Zusatzdienste hier ansiedeln.

Webinar & Workshop zu WeChat

Wer mehr über die neue Digitalwelt – und wie sie in China schon Realität ist – erfahren möchte, kann dazu am 16. April um 15 Uhr an meinem kostenlosen Webinar „Digitales Marketing in China: Die Trends für 2019“ teilnehmen.

Wer sich noch ausführlicher mit WeChat beschäftigen möchte, dem empfehle ich meinen ganztägigen mobilbranche.de-Workshop „WeChat: Wie Marketing und E-Commerce in einer Welt ohne Apps und Websites funktioniert“ am 14. Mai in Berlin.

Über den Autor:

Sven Spöde

Schon immer begeistert von anderen Kulturen, nutzte Sven Spöde die Zeit während des Studiums, um in Asien zu Reisen und zu einem Auslandssemester in Japan und lebte eine Zeit lang in China. Nach dem Cognitive Science Studium, bei dem er sich mit Themen wie AI, Neurinformatik und interkultureller Psychologie beschäftigte, wählte er den Weg in die Kommunikationsbranche mit einem Traineeship bei Storymaker. Mittlerweile als Digital Strategist China bei Storymaker tätig, berät er u.a. deutsche Händler dabei, ihre chinesischen Zielgruppen vor, während und nach einer Reise oder gar in China selbst zu erreichen. Für mobilbranche.de leitete er in der Vergangenheit bereits zwei Workshops zu WeChat, die Teilnehmer u.a. von Breuninger, Bucherer, Deutsche Post und Lufthansa begeisterten.

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