Ich verstehe diese App nicht mehr! Was tun, wenn meine App zu kompliziert wird?

App-Teams aus UX/UI-Designern, Entwicklern, Projektleitern und Product Ownern arbeiten täglich mit neuen Methoden daran, ihre Apps und Service-Produkte zu verbessern. Um ihre Applikationen nach dem ersten Release immer wieder mit Leben zu füllen, bekommen die Apps regelmäßig neue Updates. Diese Updates sind vollgepackt mit Verbesserungen und neuen Features (Funktionen), um die Nutzerbedürfnisse durch die App bestmöglich zu erfüllen. Dieser stetige Ausbau der App um neue Features kann jedoch auf Dauer zu gravierende Konsequenzen führen – einem unzähmbaren Feature-Monster. Unser Gastautor Ruben Gänsler, Co-Founder prototype.berlin und Leiter unseres Workshops „App-Design-Sprint“ am 8. Oktober in Berlin, gibt Tipps zur „Reparatur“ komplexer Apps.

Bei einer erfolgreichen App häufen sich mit der Zeit immer mehr Wünsche und Ideen für neue Features, Erweiterungen und Optimierungen. Der stetige Ausbau der App um neue Bereiche, ohne den Abbau von wenig genutzten Features, kann jedoch zu mehr Komplexität innerhalb der App und schließlich zu diffusen Nutzererlebnissen führen. Die einst so schlanke und effiziente App wuchert zu einem Feature-Monster heran und verwässert dabei ihren Kern-Nutzen. An diesem Punkt angelangt, hat sich sehr oft die Bedienbarkeit und das einst so großartige Nutzererlebnis der App stark verschlechtert. Für potentielle Nutzer wird es zunehmend schwer, den klaren Mehrwert der App zu erkennen. Steckt man als App-Team einmal in diesem Dilemma, ist es sehr schwierig, die hinzugefügten Features und Erweiterungen wieder zu entfernen und den früheren Status zu erreichen.

Was sind die Anzeichen für steigende Komplexität in Apps?

Erfolgreiche Apps entwickeln sich immer weiter, hören auf die Wünsche ihrer Nutzer und versuchen, mit jedem Update besser zu werden. Durch die kontinuierliche Verbesserung der Smartphones sind der Entwicklung dabei immer weniger technische Grenzen gesetzt, so dass das Hinzufügen von neuen Features nahezu grenzenlos durchgeführt werden kann. Wie aber kann ein App-Team frühzeitig erkennen, wenn eine App zu komplex zu werden droht?

Wenn das Produktteam zu viel Zeit in die folgenden Punkte investiert, ist dies häufig ein erstes Zeichen:

  • Unklare Feature-Strategie: Im Produktteam gibt es zunehmend lange Diskussionen über die Vor- und Nachteile neuer Features. Es bestehen keine klaren Entscheidungsrichtlinien, welche Funktionen in die App gehören.
  • Ausgereizte Navigationsstruktur: Die Suche nach geeigneten Plätzen für neue Features innerhalb der App-Navigation enden immer wieder in Kompromisslösungen. Mit der Folge, dass die Nutzer der App die neuen Funktionen nicht schnell oder gar nicht finden.
  • Verwässertes Design-System: Das Interface wird mit jeder Funktion neu angepasst und erweitert. Klare Design-Prinzipien und -Regeln scheint es nicht zu geben und jede Funktion wird spontan neu designt.
  • Marketing-Features: Es werden zunehmend Features umgesetzt, um neue Technologien und Trends zu nutzen, für die jedoch kein eindeutiger Bedarf oder Wert für den Nutzer besteht.

Das Problem mit den Features

Sobald wir einer App ein Feature hinzugefügt haben, ist es sehr schwierig, dieses wieder zu entfernen. Ein Grund dafür ist, dass ein Teil der geschätzten Nutzer verärgert sein könnte und sich daraufhin laut beschwert. Aus Angst vor diesen Beschwerden und schlechten Bewertungen lassen viele App-Teams die Features lieber in der App bestehen und versuchen es so, allen Nutzern recht zu machen. Das Ergebnis ist eine große, komplexe App mit vielen unterschiedlichen Funktionen. Mit der Zeit führt diese Strategie aber zu zunehmend mehr Komplexität im App-Interface und so zu einer schlechteren Usability (Nutzbarkeit).

Apps, die komplex gestaltet und schwer zu verstehen sind, lösen in den Nutzern schnell negative Erlebnisse und Emotionen aus. Wenn eine App schwierig zu verwenden, frustrierend und verwirrend gestaltet ist, werden die Nutzer mittelfristig damit beginnen, Alternativen zu suchen. Zwar dulden Menschen eine gewisse Menge an negativen Erlebnissen, aber geben diese Apps schnell auf, sobald eine potenzielle Alternative auftaucht. Eine Rückgewinnung eines solchen Nutzers ist dabei meist ein sehr schwer erreichbares Ziel.

Wie kann man sich davor schützen?

Nehmen Sie sich Zeit für Planung, Weitsicht und Voraussicht. Es ist klar, dass sich die App verändern, wachsen und weiterentwickeln wird. Bei der Erstellung von ersten App-Versionen kann es schwierig sein, Aufwände und Entwicklungen über die aktuelle Phase hinaus zu planen – vielleicht fehlt sogar die Vorstellung über die nächste Version. Design kann dabei sehr gezielt und kosteneffizient weiter in die Zukunft schauen und planen. Dabei sollten frühzeitig erste “Maximalausprägungen” mit vielen Features anskizziert werden, um das Design-System der App zu testen. Es ist einfacher, das Design der App auf viele Funktionen vorzubereiten, als es später spontan und unter Zeitdruck möglich zu machen.

Dieses “nach vorne Schauen” kann durch den gezielten Aufbau eines Feature-Backlogs für die Zukunft geschehen, wie wir es bei prototype.berlin in unserem App-Design Workshop schon in den ersten Schritten der Projektplanung machen.

Wie kann die Benutzeroberfläche einer komplizierten App „repariert“ werden?

Wenn Sie mit einem komplizierten Produkt konfrontiert sind, sollten Sie sich folgendes fragen:

  • Was ist die Kernfunktion der App, die 80% der Nutzer regelmäßig anwenden?
  • Können ganze Bereiche oder Funktionen der App entfernen werden, ohne dass die Kernfunktionalität verloren geht?
  • Hat die App mittlerweile so viele Features, dass man sie in mehrere, gezieltere Apps aufteilen sollte?
  • Liegt der Fehler im aktuellen Design und schaffen wir es, mit einem neuen Interface und Design-System alle Funktionen in eine klare Struktur zu bringen?
  • Ist es wirtschaftlicher, radikal vorzugehen und mit einer neuen App von vorne anzufangen?

Wenn die Möglichkeit besteht, die App noch anzupassen, bieten sich diese Methoden zur Vereinfachung an:

  • Subtrahieren: Unnötige Features oder Elemente entfernen
  • Konsolidieren: Kombinieren oder verschmelzen Sie mehrere kleine Features zu einem größeren
  • Neu verteilen: Ordnen Sie die Features neu an und verschieben Sie sie an einen klaren Ort oder in eine sinnvollere Reihenfolge
  • Priorisieren: Identifizieren Sie die wichtigsten Features und heben Sie diese klar durch eine prominentere Positionierung und Gestaltung hervor
  • Klären: Reduzieren Sie Mehrdeutigkeit, indem Sie den Inhalt der Benutzeroberfläche, Beschriftungen, Symbole usw. aussagekräftiger machen

Für diese Vorhaben sind viel Zeit, Mühe und Überzeugungsarbeit erforderlich, denn je komplizierter eine App bereits geworden ist, desto schwieriger und schmerzhafter wird es sein, diese zu vereinfachen.

Denken sie daran: Großartige Apps bieten ihren Nutzern klare Mehrwerte und befähigen sie, Probleme bestmöglichst zu lösen. Eine App verliert weder an Wert noch an Vertrauen der Nutzer, indem sie ihre Features nutzbarer und aussagekräftiger macht.

In diesem Video sehen Sie unsere Methode „Crazy 8s“, mit der Sie zu Ihrem App-Design brainstormen können:

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Was tun Sie, wenn Sie eine Funktion entfernen möchten, die noch von ein paar Nutzern gebraucht wird?

Sie wissen, dass die Nutzer die Funktion wollen, brauchen oder mögen, aber wir können es nicht ohne große Aufwände und Verluste weiter anbieten. In diesen Fällen stellen sich folgende Fragen:

  • Werden Sie weiterhin wettbewerbsfähig sein, wenn wir die Funktion radikal entfernen?
  • Können Sie die Funktion durch etwas Vergleichbares, aber Einfacheres ersetzen?
  • Können Sie die Funktion herausnehmen und sie zu einer neuen App oder Teil eines neuen Geschäfts machen?
  • Können Sie das Einnahmemodell der App so optimieren, um die Funktionen beizubehalten? (Z.B. durch In-App-Käufe)

Die Entscheidung muss ein rationaler Kompromiss sein, der Benutzeranforderungen und Geschäftsanforderungen in Einklang bringt.

Fazit

Apps sind nie fertig, nie final und nie in Stein gemeißelt. Sie lernen und verändern sich regelmäßig aufgrund von Feedback und äußeren Einflüssen durch neue Technologien und Trends. Damit dieser Dynamik dauerhaft als Vorteil ausgespielt werden kann, bedarf es klarern Design-Systemen und Entscheidungsrichtlinien, nach denen die Apps ausgebaut, umgebaut und neu erstellt werden. Großartige Apps bieten ihren Nutzern klare Mehrwerte, fokussieren sich auf Nutzer-Probleme und sollten immer anstreben, dies möglichst einfach für die Nutzer zu tun.

Workshop am 8. Oktober

In unserem Workshop am 8. Oktober 2019 zum Thema „App-Design“ zeigen wir den Teilnehmern praktische Methoden und Strategien, mit denen sie ihr nächstes App-Projekt von Anfang an vor eben diesen Gefahren schützen können.

Über den Autor:

Ruben Gänsler ist Co-Founder und Leiter der Produktstrategie bei prototype.berlin, ein Team, welches Unternehmen hilft, ihre Pilotprojekte in 6 Wochen von der App-Idee in die App-Stores zu bringen. Sein persönlicher Weg startete in der Musikbranche, in der er eine Online-Community für Kreativschaffende aufbaute. Parallel fing er an für andere Kunden die Konzepte ihrer Web- und mobilen Applikationen zu erstellen. In seiner aktuellen Rolle in der Beratung und Konzeption ist er verantwortlich dafür, mit den Kunden und den Teams bei prototype.berlin aus der ersten App-Idee realisierbare App-Konzepte zu formen.

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