Wenn es um deutsches App Marketing geht, stößt man derzeit immer häufiger auf ein ganz bestimmtes Buzzword: Retention.
Wie es häufig so ist mit diesen trendigen Fachbegriffen in einer Branche, hat sie jeder mal gehört und alle übernehmen sie sehr schnell in den täglichen Sprachgebrauch im Büro. So richtig verstehen tut es die breite Masse aber eigentlich nicht. Und das hat auch durchaus einen guten Grund.
Hinter diesem sehr allgemeinen Wort verbirgt sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Vermarktungsstrategien und Marketingansätzen, die letztendlich alle ein gemeinsames Ziel verfolgen: Der Nutzer soll gezielt angesprochen werden, sodass er eine App kontinuierlich nutzt, sie weiterempfiehlt und man somit Umsatz generieren kann. Treue User zu generieren ist nicht nur billiger, als der Aufwand ständig neue zu akquirieren, sondern das ganze fungiert auch als Signal nach außen, wie gut eine Marke seine Basis kennt. Um das mal in knallharten Zahlen auszudrücken: Eine Verbesserung der eigenen Nutzer-Retention um 2%, hat unterm Strich den gleichen Effekt, wie eine Kostendegression um 10%. Statistiken sind zwar nicht alles, aber man kommt zumindest ins Grübeln, oder?
In der Theorie klingt das ja ganz nett, aber was bedeutet das alles nun konkret? Seinen Ursprung hat dieses Thema im sogenannten “Retention-Problem”, wonach sich jeder App Publisher der Frage stellen muss: Die Anwendung hat zwar tausende neue Installs jeden Tag, aber wieviele davon konvertieren tatsächlich in aktive, engagierte und profitable User?
Nach einem Monat öffnen im Durchschnitt nur noch 38% der Nutzer eine App ein zweites Mal. Über ein komplettes Jahr hinweg, verringert sich diese Zahl kontinuierlich, bis schließlich am Ende nur noch 4% übrig bleiben. Laut Fiksu lagen die Kosten für einen Install im Februar 2016 bei 1,70€. Die Akquisition von 1000 Nutzern kostete somit knapp 1.700€. Davon sind nach 12 Monaten also nur noch 40 User übrig und vom ursprünglichen Investment sind 1.632€ verloren gegangen. Man kann also nur hoffen, dass diese 40 User viel Umsatz bringen bzw. die abhanden gekommenen Nutzer im Laufe des Jahres viel Geld in der App ausgegeben haben. Natürlich sind das nur Durchschnittswerte und die Retention-Zahlen variieren innerhalb der verschiedenen App-Kategorien. Das ändert aber nichts am Grundproblem: Wie schaffe ich es, loyale bzw. wiederkehrende User zu generieren, sodass ich langfristig meine Akquisitionskosten minimiere? Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, werde ich mich dieser Thematik in den kommenden Wochen ein wenig genauer widmen.
Anfangen werde ich dieses Mal mit einem Thema, dass mit Sicherheit nicht völlig unbekannt ist, aber durchaus in sehr vielen Apps Verbesserungspotential besitzt: Personalisierung. Was das angeht, leben wir in Deutschland sicherlich nicht im einfachsten aller Länder. Denn wenn man personalisieren will, bedeutet das auch gleichermaßen, dass es notwendig ist, Nutzerdaten zu sammeln und auszuwerten. Und hier treffen wir einen sehr sensiblen Punkt: Wir Deutsche lieben es, persönlich angesprochen zu werden. Wir erwarten es sogar irgendwie. Aber ich soll Informationen über mich preisgeben? Nein, danke!
Selbst so etwas triviales wie ein Vorname wird meistens nur mit aufgestellten Nackenhaaren preisgegeben. Ein ziemliches Paradoxon, denn genauso wie alle anderen User auf der Welt möchten wir von einer App Empfehlungen, die auf vorherigen Suchergebnissen oder Käufen basieren. Wir möchten automatische Playlisten, die sich an unseren Lieblingssongs orientieren und wenn Werbung schon sein muss, möchte ich als Mann auch ganz gerne keine Anzeigen für neue Sport-BHs sehen. Richtig eingesetzt, kann Personalisierung ein mächtiges Werkzeug sein, um die Retention zu verbessern. Wie bei vielem anderen gilt aber auch hier das richtige Augenmaß zu behalten.
Doch was genau ist denn nun Personalisierung? Was gibt es konkret für Anwendungsfälle? Auf Basis der gesammelten Informationen über User Events und Merkmale ist es mit den Möglichkeiten moderner Marketing Automation Tools vergleichsweise einfach, eine maßgeschneiderte Produktkommunikation zu bieten:
Mit dem Namen beginnen
Den Vornamen eines Users in Mitteilungen einzubinden ist wahrscheinlich die einfachste und dankbarste Personalisierungsmethode. Schon allein durch eine solche Maßnahme erzeugt man ein Gefühl von Vertrautheit und Nähe. Das Smartphone selbst ist von Natur aus ein sehr persönliches Element im Alltag des Nutzers. Es wird täglich genutzt und ist in den meisten Lebenslagen ein ständiger Begleiter. Im Bestfall bettet sich eine App nahtlos in diese Dynamik ein. Dieser Effekt wird begünstigt, indem die Ansprache ebenfalls “freundschaftlich” gestaltet wird.
Abgesehen vom Namen gibt es natürlich noch einige andere markante Merkmale, die man für eine Personalisierung einsetzen kann. Möchte man beispielsweise mit einer Push Notification den User zurück in eine Streaming-App holen, könnte man Anreize durch Benachrichtigungen über gerade veröffentlichte Fortsetzungen bereits gesehener Filme oder Serien schaffen. Soll der Nutzer weiter in der bereits geöffneten App verweilen, macht es Sinn auf Content zu verweisen, der den Präferenzen entspricht, die zum Beispiel im Onboarding-Prozess abgefragt wurden. Letztlich gibt es unzählige Möglichkeiten in dieser Hinsicht. Wichtig ist es allerdings, die Sache nicht zu überreizen. Wie bereits angemerkt, geben User nur ungern Informationen preis. Umso vorsichtiger und gewissenhafter, sollte man bei der Arbeit damit umgehen.
Der richtige Zeitpunkt
Nicht nur der Inhalt einer Benachrichtigung kann personalisiert werden. Auf Basis der Analyse von Reichweite und tatsächlich erzieltem Engagement bereits ausgespielter Kampagnen oder der Auswertung einfacher Aktivitätsprotokolle, lässt sich auf den perfekten Zeitpunkt schließen, um Mitteilungen zu senden und dabei ein Maximum an Nutzern zielgerichtet zu erreichen. Ein kurzes Beispiel zu Veranschaulichung: Wir haben auf der einen Seite eine Person, die vor allem morgens vor der Arbeit mobile aktiv ist. Auf der anderen Seite sind es Eltern, die nur abends Zeit haben sich mit dem Handy zu beschäftigen, nachdem die Kinder ins Bett gegangen sind. Beide Parteien sollen aber dieselbe Nachricht bekommen. Zielführend ist es also nur, wenn etwa eine Push Notification zeitoptimiert für alle Seiten ausgespielt wird. Ein solche Selektion pro User ist technisch allerdings in den meisten Fällen nur mit der Integration eines Marketing Automation Tools wie zum Beispiel predict.io möglich. Über die Einbindung eines SDKs lässt sich genau feststellen, wann ein User eine Benachrichtigung erhalten hat und ob er letztendlich darauf reagiert hat bzw. in welcher Art er reagiert hat. Möchte man auf ein solches Tool verzichten, bleibt oftmals “nur” die Analyse in Kohorten zusammengefasster Nutzerprofile. Dabei untersucht man auf Basis definierter Merkmale ganze Usergruppen und steuert dementsprechend Mitteilungen aus.
Das Team von Appboy hat in diesem sehr lesenswerten Beitrag einmal mit dem Gedanken gespielt, was passiert wäre, wenn Menschen schon viel früher von einem zeitoptimierten Versenden von Nachrichten Gebrauch gemacht hätten. Meine zwei Favoriten habe ich mal herausgesucht:
Wenn Pandora nicht seine Box geöffnet hätte, wäre der Welt wohl einiges an Problemen erspart geblieben. Eine Push Notification im richtigen Zeitpunkt, hätte mit Sicherheit Wunder gewirkt.
Stichwort Black Tuesday. Der riesige Börsencrash resultierte in viel Armut und der Great Depression. Hätte wohlmöglich verhindert werden können…
Ortsabhängige Kommunikation
Erhält man vom Nutzer die Erlaubnis Informationen über den Standort einzusammeln, eröffnet das ganz neue Möglichkeiten für eine effiziente Personalisierung. Besonders Unternehmen mit einem Fokus auf Point-of-Sale Marketing können davon profitieren. Stellt man beispielsweise fest, dass der User gerade in der Nähe einer bestimmten Veranstaltung, Sehenswürdigkeit, Stadt oder anderen Orten ist, wird es somit möglich relevante und damit hoch effiziente Promotion auszusteuern.
Segmentierung ist der Schlüssel
Für einen langfristigen Erfolg sollte die Personalisierung aber schon auf einer viel höheren Ebene beginnen. User mit ähnlichen Merkmalen oder Verhaltensmustern können in verschiedene Gruppen segmentiert werden und auf diese Weise auch entsprechend ihrer Bedürfnisse angesprochen werden. Denn aus Marketingsicht durchlaufen die Nutzer einer App einen bestimmten Zyklus. Stark vereinfacht beginnt er bei der Erstinstallation der App, zieht sich dann über den In-App Kauf bis zur abschließenden Deinstallation. Je nach Art der Anwendung hat dieser Zyklus beliebig viele Abschnitte. Wichtig ist, dass sich die gesamte Nutzerschaft über diese verschiedenen Stationen verteilt und deshalb jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Kommunikation stellt.
Beispielsweise können mit einer effektiven Segmentierung Bewertungsabfragen für den App Store nur an User ausgesteuert werden, welche die App schon lange Nutzen oder bereits außergewöhnliche Features entdeckt haben. Teilnehmer eines Treue-Bonusprogramms können gezielt Rabattaktionen erhalten und noch nicht registrierte Nutzer wird die Anmeldung mit speziellen Benachrichtigungen schmackhaft gemacht.
Hat die App bereits eine gewisse Größere erreicht, können auch unterschiedliche Sprachpräferenzen relevant werden. Aus verschiedenen Studien ist mittlerweile bekannt, dass viele Nutzer einen Kauf nur abschließen, wenn die Kommunikation auch in ihrer Sprache stattfindet. Mit einer entsprechenden Segmentierung können auch hier weitere Potentiale ausgeschöpft werden.
Zum Abschluss
Wie die Personalisierung am Ende auch immer aussehen mag, sie hilft dabei die Produkterfahrung erheblich zu verbessern. Als Nutzer erhalte ich Informationen, mit denen ich etwas anfangen kann und habe darüberhinaus das Gefühl auch direkt angesprochen zu werden. Ich werde als Individuum wahrgenommen und bin nicht nur ein Teil der großen Masse, die wie am Fließband abgefertigt wird und nur möglichst viel Umsatz abwerfen soll. Es empfiehlt sich auch immer, sehr offen damit umzugehen, wie und warum man welche Daten einzieht bzw. verwendet. Die unverborgene Abfrage über Anmeldeformulare oder andere Opt-Ins sorgt dafür, dass User nicht anfangen sich zu fragen, wie man überhaupt an all diese Informationen gekommen ist. So trägt man am besten zu einem guten Bild nach außen bei und baut eine vertrauensvolle Basis für eine positive Kundenbeziehung auf.
Über den Autor
Benjamin Günther ist Co-Founder bei Growfirst, einer Agentur für Data Driven App Marketing in München, und dort für das allgemeine Brand Management verantwortlich. Dies beinhaltet vor allem die Bereiche Public Relations, Social Media- und Content Marketing. Für mobilbranche.de beleuchtet Benjamin ab sofort monatlich neue Growth Hacks und Entwicklungen aus dem App Marketing.
Benjamins Geschäftspartner Johannes von Cramon leitet am 24. April 2018 in Berlin das mobilbranche.de-Seminar „App Retention & Engagement“. Melden Sie sich jetzt an!
2 Antworten zu “App Retention 101: Personalisierung – Was alles so möglich ist.”
[…] damit sie nicht mit der Zeit gelöscht wird, weil man sie die letzten Monate nicht genutzt hat. Benjamin Günther hat auf mobibranche.de mit schönen Beispielen die Herausforderungen dargelegt. Und neben der direkten Monetarisierung […]
[…] App Retention 101: Personalisierung – Was alles so möglich ist […]