Sustainable UX – Tipps für mehr Nachhaltigkeit in der App-Entwicklung

Nachhaltige Apps: 23 Tipps für die Entwicklung

Von Rebekka Weber (UX/UI Designerin bei T-Systems MMS)

Wie entwickelt man eine App, die die User begeistert, auf die Unternehmensziele einzahlt und nebenbei die Umwelt nicht unnötig belastet? Steigen Sie ein in die Entwicklung nachhaltiger mobiler Anwendungen mit diesen 23 Tipps. 

Des einen Leid ist des anderen Freud‘: Die Digitalisierung ist allgegenwärtig

Vermissen Sie das gute alte Papierprospekt? Für manche noch ein Muss beim Frühstück, für andere nur unnötiger Müll im Briefkasten. Jüngst hat sich neben anderen Retail-Riesen auch die Baumarktkette OBI von der Printversion ihres Prospekts verabschiedet. Auch Einzelhändler wie Lidl, Aldi und Rewe weiten ihre digitalen Kanäle aus, um auf das sich verändernde Kaufverhalten zu reagieren. Vor allem mobile Apps stehen dabei hoch im Kurs. Kunden-Apps glänzen durch personalisierte Beratung, individuelle Rabatte, Tutorials oder Store-Navigation. Doch wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus? Ist jede App nachhaltiger als das Printprodukt?

Wie nachhaltig sind Apps eigentlich?

Kurz gesagt: So nachhaltig, wie sie entwickelt werden. Denn bereits in der Entwicklung Ihrer App können Sie entscheidende Maßnahmen ergreifen, um eine umweltfreundlichere Anwendung zu schaffen, die auf Ihre Unternehmensziele einzahlt und nebenbei auch noch die User zufrieden stellt.

Der beste Weg, um Customer Experience, Unternehmensziele und Corporate Social Responsibility unter einen Hut zu bringen, ist den User Centered Design-Prozess (UCD) zu durchlaufen.

Auf Basis des User Centered Design-Ansatzes werden seit Jahrzehnten digitale Anwendungen – so auch mobile Apps – gestaltet. Ziel ist es, den realen Bedürfnissen von Usern und spezifischen Nutzungsanforderungen zu Gunsten der Gebrauchstauglichkeit gerecht zu werden. Daher stehen die Endnutzer*innen während des gesamten Gestaltungsprozesses im Mittelpunkt und werden aktiv mit einbezogen. So werden ausschließlich Produkte, Services oder Features entwickelt, die auch wirklich ein Kundenproblem lösen.

Der UCD-Ansatz durchläuft 4 Phasen (siehe Abb. 1), bevor ein entstandener Prototyp technisch realisiert werden kann: Nutzerforschung, Ideenfindung, Prototyping & Design und Test. Zeigt die Evaluierung in der Testphase, dass die Lösung die Nutzungsanforderungen erfüllt, geht sie in die technische Umsetzung.

Die Herausforderung in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit ist es nun, neben dem User auch den Einfluss auf die Umwelt während des gesamten Entstehungsprozesses zu berücksichtigen. Wie dies möglich ist, erfahren Sie anhand von 23 Tipps in diesem Artikel.

Abb. 1: Phasen des User Centered Design Process in eigener Darstellung angelehnt an ISO 9241-210:2010-Human-centred design for interactive systems

Phase 1: Nutzerforschung

1. Analysieren Sie Ihre Zielgruppe und prüfen Sie kritisch die Erwünschtheit Ihrer Lösungsidee.
Nichts ist für die Umwelt so fatal, wie die Entwicklung eines Produkts, das am Ende niemand nutzt. Lernen Sie deshalb Ihre (potenziellen) User so gut wie möglich mittels Interviews und Beobachtungen kennen. Nur wenn Sie deren Bedürfnisse und Herausforderungen kennen, können Sie wirklich bewerten, ob Ihre Idee eine echte Lösung ist.
Berücksichtigen Sie in der Analyse auch, welche veränderten Nutzungsgewohnheiten und Erwartungen Kund*innen an Unternehmen, Produkte und Services stellen. Dazu zählen z.B. Datensparsamkeit und Akku-Laufzeit auf App-Ebene aber auch Transparenz über die Produktherstellung.

2. Erstellen Sie Personas auf Basis realer Nutzerdaten, um diese zum Mittelpunkt Ihres Entwicklungsprozesses zu machen. Demografische Daten, Ziele, Bedürfnisse, Umweltbewusstsein sowie die Umgebung bei der Benutzung einer App werden vermenschlicht und fortan als Ausgangspunkt für jede Überlegung genutzt. Berücksichtigen Sie auch Diversität, verschiedene Bildungs- und Migrationshintergründe sowie Barrierefreiheit, um im Sinne der Nachhaltigkeit ein Produkt für alle zu schaffen. Beachten Sie in diesem Sinne ebenso die Gerätevielfalt: Entwickeln Sie Apps, die auch mit älteren Geräten grundlegend kompatibel sind und dies auch über mehrere Releases bleiben.

3. Beschäftigen Sie sich mit der Customer Journey Ihrer User und arbeiten Sie klar heraus, wo deren Schmerzpunkte liegen. Relevant für die User Experience sind alle Berührungspunkte, die User mit Ihrem Produkt haben. Betrachten Sie alle Touchpoints und analysieren Sie, welche positiven, und vor allem welche negativen Erlebnisse an den jeweiligen Berührungspunkten gemacht werden. Berücksichtigen Sie zusätzlich, welche Auswirkungen auf die Umwelt stattfinden (Planet Centric Design). Für jeden Schritt sollten Sie messbare Indikatoren und Erhebungsmöglichkeiten für das Kundenerlebnis haben, aber auch den positiven sowie negativen Effekt auf die Umwelt vermerken.

4. Richten Sie daraufhin Ihre Problemstellung neu aus und formulieren Sie die ideale User Journey. Denn jetzt wissen Sie alles, was Sie wissen müssen, um genau dort ansetzen zu können, wo Bedarf und Optimierung notwendig ist. Definieren Sie die ideale Reise Ihrer User mit der App. Eine Reise, die begeisternde Erlebnisse erzeugt und die User dabei unterstützt z.B. ihren CO2-Fußabdruck so gering wie möglich zu halten, während Sie Ihre Ziele erreichen.

Das klingt nach viel Arbeit, verhindert aber, dass Sie an Ihrer Zielgruppe vorbeientwickeln, sondern die App treffgenau auf die Bedürfnisse der User anpassen können.

Phase 2: Ideenfindung

Nachdem Sie nun die Anforderungen Ihrer Zielgruppe kennen, geht es an die Ideenfindung. Eine erfolgreiche Idee erfüllt drei Kriterien: Erwünschtheit der User (Desirability), technologische Machbarkeit (Feasibility) und wirtschaftliche Rentabilität für das Unternehmen (Viability). „Erfolgreich“ bedeutet aber noch lange nicht „nachhaltig“. Deshalb muss eine weitere Dimension in dieser Phase betrachtet werden: der Umwelteinfluss (Sustainability, siehe Abb. 2).

Abbildung 2: Nachhaltige Innovation entsteht im „sweet spot“ zwischen Erwünschtheit der User, technologischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Rentabilität unter Einbeziehung der Nachhaltigkeit in allen drei Bereichen.

Erwünschtheit (Desirability)

5. Definieren Sie die maximale Anzahl an erforderlichen Schritten, mit denen ein User sein/ihr Ziel erreicht. Hierfür eignet sich z.B. ein Flowchart. Wenn Sie nur so viele Screens und Inhalte anbieten wie zwingend notwendig, erreichen die User ihr Ziel effizienter und verbrauchen aufgrund der kürzeren Nutzungsdauer weniger Energie.

6. Hinterfragen Sie, wie sich Ihre Lösungsidee auf Individuen und die Gesellschaft auswirkt. Ist die Applikation sicher? Wahrt sie die Privatsphäre? Unterstützt sie die Nutzenden dabei, die Umwelt nicht unnötig zu belasten? Kann jeder gleichberechtigt teilhaben, unabhängig von körperlichen oder mentalen Beeinträchtigungen? Können Sie diese und ähnliche Fragen mit „ja“ beantworten, erhöhen sich die Chancen Ihrer App für die breite Masse begehrenswert zu sein. Wer eine Lösung für alle hat, muss keine weitere entwickeln und spart somit Aufwände und vermeidet Umweltbelastungen, die durch Entwicklung, Produktion und Betrieb entstehen.

Technologische Machbarkeit (Feasibility)

7. Definieren Sie entscheidende Funktionalitäten und Features. Anschließend prüfen Sie, inwieweit Sie die neue Lösung im eigenen Betrieb realisieren können. Wenn Sie auf externe Kapazitäten zurückgreifen wollen, setzen Sie auf Dienstleister, die sich der unternehmerischen Sozialverantwortung und einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben haben.

Wirtschaftliche Rentabilität (Viability)

8. Vergleichen Sie Ihre Lösungsideen mit der Konkurrenz. Wie lösen andere Anwendungen die Probleme der Zielgruppe? Wie reduzieren diese den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte oder wie unterstützen sie die User, den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren?

9. Werfen Sie einen Blick auf die langfristigen Auswirkungen Ihrer Lösungsideen. Bei der Rentabilität geht es nicht nur um den kurzfristigen Gewinn, sondern auch um den Beitrag zur Gemeinschaft und Gesellschaft im Sinne der Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit (Sustainability)

10. Hinterfragen Sie, wie sich Ihre Lösungsidee auf die Umwelt auswirkt. Schadet die Lösung der Umwelt, weil sie zum Beispiel zu viel Energie verbraucht? Falls ja, informieren Sie sich über mögliche grüne IT-Lösungen, wie das Speichern von Daten in grünen Clouds und entscheiden Sie sich für energiesparendes Design und Green Coding (mehr dazu in den folgenden Abschnitten).

Phase 3: Prototyping & Design

Machen Sie Ihre Lösungsidee jetzt mittels Scribbles, Wireframes, Low- oder High-Fidelity-Prototypen testbar. Hier kommen UX Designer*innen ins Spiel. Mit folgenden Stellschrauben können diese die Nachhaltigkeit Ihrer App beeinflussen: 

Im Alltag

11. Remote Design Collaboration ermöglicht eine simultane Zusammenarbeit mehrerer Designer*innen durch moderne Tools wie Figma. Designprojekte werden in der Cloud gespeichert und ermöglichen eine effiziente Kollaboration im Browser. CO2-intensive Dienstreisen für Kundenworkshops und standortübergreifende Teammeetings entfallen.

In den UX/UI Basics des App Designs

12. Verwenden Sie Design-Systeme. Für eine nachhaltige Designerstellung und -entwicklung sowie Nachnutzbarkeit von Komponenten über verschiedene digitale Touchpoints hinweg.

13. Konzipieren Sie eine effiziente Navigation und Klickwege. Nutzer*innen erreichen ihr Ziel so schneller und das Handy wird nach kürzerer Zeit wieder in die Tasche gepackt.

14. Priorisieren Sie energiesparende Farben. Prüfen und nutzen Sie Dark Mode-Anwendung.

15. Sparen Sie Pixel und Bytes. Reduzieren Sie Bilddateigrößen wo möglich und setzen Sie Vektorgrafiken ein. Reduzieren Sie Custom Web Fonts und nutzen Sie mehr Systemschriften.

In der Produktkonzeption

16. Design for All. Schließen Sie niemanden in der Nutzung aus, indem Sie inklusive Sprache verwenden und das Interface barrierefrei gestalten.

17. Meiden Sie Endless Scrolling und Suchtpotential. Ihre Businessziele müssen im Einklang mit Mensch und Umwelt stehen und dürfen nicht isoliert aus Umsatzsicht maximiert werden.

18. Klären Sie die App-Nutzer*innen über umweltfreundlichen Konsum oder Alltagsgewohnheiten auf. Machen Sie Usern die positiven Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen durch bspw. Nudges in Form von In-App-Benachrichtigungen, versteckten Tooltips und Inhaltsvorschlägen klar.

Phase 4: Test

19. Testen Sie Ihre Anwendung frühzeitig im Entwicklungsprozess. Konzeptfehler können mittels einfacher früher Prototypen in (remote) User Tests gefunden und ausgemerzt werden. Bugs können bereits durch regelmäßiges (automatisiertes) Unit Testing detektiert und gefixt werden, anstatt bis zu Akzeptanz- oder Integrationstest zu warten. Beides bedeutet zwar frühes Investment, spart aber Ressourcen auf lange Sicht.

„Testing with one user early in the project is better than testing with 50 near the end.“
Steve Krug (UX-Experte und Autor des Buches „Don’t make me think“)

Technische Umsetzung

Nicht zuletzt können auch Entwickler*innen einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeit und den CO2-Fußabdruck einer App nehmen. Wenn Sie der Umwelt und Ihrem Image einen Gefallen tun wollen, lautet das große Stichwort Green Coding. 

20. Green Coding beginnt mit Clean Coding. Ihr Code sollte intuitiv verständlich sein, sodass Funktionserweiterungen und Fehlerbehebung weniger Zeit in Anspruch nehmen. Bereinigen Sie den bestehenden Code und entfernen Sie redundante Bestandteile. Das erhöht zwar die Aufwände fürs Refactoring, macht ihren Code aber stabiler und effizienter und spart somit Aufwände in der Wartung.

21. Reduzieren Sie Dateigrößen. Darüber hinaus können Sie Ihre Multimediainhalte auf Qualität prüfen. Wann braucht es hochauflösende Bilder und Videos und wo kann die Dateigröße reduziert werden? Dateikomprimierung ist insbesondere für mobile Anwendungen wichtig, da es das Nutzererlebnis aufgrund schnellerer Navigation und geringeren Ladezeiten verbessert und den Energieverbrauch begrenzt.

22. Nutzen Sie Cloud-Lösungen und Software-as-a-Service. Besonders klimafreundlich ist die Nutzung von grünen Clouds. Gemeint sind Clouds, die in Green-IT-Rechenzentren gehostet werden und Wert auf die Reduzierung der CO2-Produktion legen.

23. Reduzieren Sie Ladezeiten. Dies können Sie zum Beispiel mittels eines Content Delivery Network (CDN) erreichen, welches Zwischenserver zwischen dem eigentlichen Hauptserver und Ihren Nutzer*innen einrichtet und so für schnelleren Kommunikationsverkehr sorgt. Das verbessert zum einen das Nutzungserlebnis, da große Dateien wie Videos nun schneller laden und verbraucht zum anderen weniger Bandbreite.

Mit über 5 Milliarden aktiven Nutzer*innen (Statista, 2022) und einem Anteil von schätzungsweise bis zu 3.9% am globalen Emissionsausstoß (Charlotte Freitag et al., 2021), trägt das Internet enorm zur Belastung unseres Planeten bei und die Tendenz ist steigend. Es ist Zeit, dass Anbieter von mobilen Anwendungen ihren Teil dazu beitragen, dass Apps dabei helfen die Umwelt zu schonen und ein nachhaltiges Verhalten ihrer User unterstützen. Fangen Sie mit diesen 23 Tipps an den Energiebedarf zu senken, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und auf nachhaltige IT-Lösungen umzusteigen. Mit diesen und vielen weiteren Möglichkeiten kann jede App „user and planet centric“ entwickelt werden.

Die T-Systems MMS unterstützt Sie hierbei gerne mit ihren Expert*innen zum Beispiel für Mobile Development, UX und Nachhaltigkeit in der Digitalisierung. Kontaktieren Sie uns!

Schauen Sie auch gern einmal auf unsere Plattform-Lösung „EcoShift“ für nachhaltiges Mobilitätsmanagement in Unternehmen.

Über die Autorin:

Rebekka Weber denkt bei Ihrer Arbeit als UX/UI Designerin gerne über den Tellerrand hinaus und treibt gesellschaftlich wichtige Themen wie Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit digitaler Anwendungen voran. In verschiedensten Projekten bei der T-Systems MMS, vor allem in den Bereichen Retail, eCommerce sowie Consumer- und Fachapplikationen für Web und Mobile, erkennt und vertritt sie die Bedürfnisse und Anforderungen von Usern und hat es zu ihrem Anspruch gemacht diese treffgenau und ressourcenschonend zu erfüllen.

Über das Unternehmen:

Die T-Systems MMS begleitet Großkonzerne und mittelständische Unternehmen bei der digitalen Transformation. Der Digitaldienstleister geht mit seinen Kunden neue Wege und entwickelt zukunftsfähige Geschäftsmodelle in den Bereichen Industrial IoT, Customer Experience, New Work sowie Digitale Zuverlässigkeit. Mit rund 2.100 Beschäftigten in neun Städten und einem Jahresumsatz von 200 Mio. € im Jahr 2021 bietet T-Systems MMS ein dynamisches Web- und Application-Management und sorgt mit einem akkreditierten Test-Center für höchste Softwarequalität, Barrierefreiheit und IT-Sicherheit.

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