Interview: Ulrich Hegge über mobile Trends bei Verlagen.

Medienunternehmer Ulrich Hegge, zuletzt Chef von Burdas Media Innovation Lab, ist einer der führenden Experten für digitale und mobile Trends in Deutschland. Am 8. Juni ist Hegge einer der Referenten des von mobilbranche.de präsentierten Expertenforums Mobile Media 2011! der VDZ Akademie in Hamburg sowie des Workshops Mobile Strategies 2011! am 9. Juni. Im Vorfeld der Doppel-Veranstaltung hat mobilbranche.de mit Ulrich Hegge über aktuelle Trends im Mobile Publishing gesprochen und die Schwierigkeiten für Zeitschriftenverleger, eine gute Strategie für iPad-Magazine entwickeln. In dem Interview äußert sich Ulrich Hegge skeptisch zum Thema Paid Content und mahnt für Verleger zudem eine „grundsätzliche Positionierungsentscheidung“ an, ob sie sich in der mobilen Welt nur als Inhalte-Anbieter verstehen wollen oder auch als Service-Anbieter.

mobilbranche.de: Das iPad gibt es nun seit etwas über einem Jahr in Deutschland. Wie beurteilen Sie, was deutsche Verleger heute auf dem iPad anbieten und wieso zögern manche Medienhäuser noch immer mit einer eigenen iPad-App?

Ulrich Hegge: Die Bandbreite ist groß, wie zu erwarten war. Von speziellen Editionen, über PDF- oder PDF-ähnliche Abbildungen bis zu Apps für die Online-Ableger der Magazine ist alles vertreten. Aus reiner Leser-/Nutzersicht: Während ich im Buchbereich einige tolle Sachen im Laufe des Jahres gesehen habe, finde ich bis heute keine iPad-Magazinausgabe zwingend. Insbesondere im Vergleich mit einer guten Website oder dem Heft schätze ich persönlich hauptsächlich die Bequemlichkeit, offline lesen zu können und ohne schweres Papier unterwegs sein zu können. Vielleicht doch ein bisschen schwache Argumente nach einem Jahr Anlauf? Aber man kann nun mal nicht wöchentlich oder auch monatlich ein anspruchsvolles interaktives, multimediales Format machen und finanzieren.

mobilbranche.de: Und wie sieht es auf Verleger-Seite aus? Rechnen sich iPad-Magazine?

Hegge: Die Beurteilung aus Sicht der Verlage ist schwierig, denn: Was ist die Erwartungshaltung, was ist die Strategie hinter dem iPad-Magazin? Soll kostengünstig getestet werden, soll es eine zentrale Erlössäule werden oder einfach nur eine jüngere Zielgruppe erreichen? Je nachdem kann auch eine geringe Absatzzahl als erfolgreich gewertet werden.

mobilbranche.de: Macht es Sinn, wie etwa Rupert Murdoch mit „The Daily“ eine völlig neue Zeitung fürs Tablet zu erschaffen ohne jegliche Anbindung an eine traditionelle Medienmarke?

Hegge: Zuerst einmal: Warum nicht? Neue Medienmarken werden immer wieder aufgebaut, egal in/auf welchem Medium – warum sollte das nicht auf Tablets probiert werden? „The Daily“ zeigt aber sehr schön, wie schwierig es ist, die richtigen Inhalte für die zum Trägermedium passende Zielgruppe zu finden. „The Daily“ produziert (im Wesentlichen) im klassischen Tagesrhythmus, für ein durchschnittlich Nachrichten-affines Publikum. D.h. die „Realtime-Feed Junkies“ finden es langweilig, weil immer veraltet, während der Mainstream (noch?) nicht ausreichend Interesse an einer Alternative zu klassischen Formaten wie der gewohnten Tageszeitung und TV-Nachrichten zeigt. Also: Für Nischen kann ich mir das sehr gut vorstellen, für neue, klassisch gedachte Publikumszeitschriften weniger.


mobilbranche.de: Vernachlässigt die Branche derzeit angesichts des Hypes um Tablets die Chancen für Verleger auf dem Smartphone, mit dem schließlich bereits in etwa jeder fünfte Deutsche ins Web geht?

Hegge: Welche Chancen wären das? Größere Reichweiten, höhere Bereitschaft zu zahlen? So weit ich das beobachte, sind die großen Zeitschriften sowohl mit Apps wie für mobile Browser optimierten Sites am Start. Gerade Zeitschriften haben es auf dem Smartphone noch schwerer als auf einem Tablet. Eine schöne, gut gemachte und geschriebene Strecke aus einem Magazin ist auf dem Smartphone schwer mit einem zusätzlichen Wert zu versehen.

Anders sähe es mit explizit mobil konzipierten zusätzlichen Services aus, wie beispielsweise automatisch generierten, zum aktuellen Ort passenden Informationen, nach Themen und auch historisch gegliedert. Die Prüfung der Machbarkeit, d.h. die Entwicklung der inhaltlichen und wirtschaftlichen Konzepte erfordern tatsächlich mehr Aufwand, als für mich erkennbar getätigt wird.

mobilbranche.de: Welche Chancen bieten neue Trends wie etwa Location-based Services für Verleger noch? Wo bleiben Check-ins, Deals, Mobile Couponing etc. innerhalb von Verleger-Apps?

Hegge: Erster Ansatzpunkt wären die bei Verlegern existierenden Inhalte. Diese sind für LBS nicht zwangsläufig vorhanden oder müssen extrahiert werden. Eine Verbindung von funktionierenden Services wie den in der Frage genannten wären nur zwingende Chancen, wenn damit ein neuer, besserer Wert geschaffen würde.

Die Etablierung eigenständiger Services und/oder E-Commerce Angebote durch Verlage hat in der Vergangenheit nur dann funktioniert, wenn sie vom klassischen Geschäft entkoppelt waren, d.h. Beteiligungen, oder sie waren „too little, too late“. Die genannten Beispiele sind handels- und technologiegetrieben, d.h. keine klassischen Kompetenzen von Verlagen. Um Chancen in diesen Bereichen zu entwickeln, muss eine grundsätzliche Positionierungsentscheidung getroffen, und der wirtschaftliche Wert bewiesen werden: Sind Verlage in einer mobilen Welt Inhalte-Anbieter? Oder entwickeln sie sich (auch) zu Services-Anbietern?

mobilbranche.de: Deutsche Verleger stöhnen vom „Geburtsfehler“ des Internets, das journalistische Inhalte fast ohne Ausnahme für die Leser kostenlos sind. Wird sich dies im Mobile Web tatsächlich ändern, wie es viele Verleger in der Öffentlichkeit behaupten?

Hegge: Der Geburtsfehler des Webs könnte aus Sicht der Verleger ein ganz anderer sein: Versäumt zu haben, dauerhaft und konsequent immer wieder neue inhaltliche Formate und Geschäftsmodelle auszuprobieren und bei Erfolg auszubauen. Interessant ist doch, dass diejenigen, die das kontinuierlich gemacht haben (Spiegel Online, oder auch Focus Online als „Drehkreuz“ für viele Angebote der Tomorrow Focus AG), sowohl von der inhaltlichen Ausprägung wie vom wirtschaftlichen Erfolg her zumindest am besten dastehen.

Das Mobile Web ermöglicht tatsächlich eine andere Art der Kunden-/Leserbeziehung – sowohl bei den Zahlungsmöglichkeiten wie bei den zur Angebotsoptimierung zur Verfügung stehenden Daten. Aber so lange nicht wirklich neue, spannende Services angeboten werden, die nicht woanders billiger oder einfacher genutzt werden können, ändert sich hier nichts.

mobilbranche.de: Vielen Dank für das Gespräch!

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