Interview: Adjust-Gründer Christian Henschel über Ad Fraud, Datensicherheit und die Firmen-Bilanz zum fünfjährigen Jubiläum.

henschel„Für mich ist es toll zu erleben, wie groß und erwachsen die Mobilbranche inzwischen geworden ist,“ sagt Christian Henschel, Mitgründer und CEO des Berliner Unternehmens adjust. Seit mittlerweile fünf Jahren ist der Spezialist für Mobile Attribution & Analytics am Start und hat zum Jubiläum eine große Produktoffensive angekündigt. Im Interview verrät Henschel zum Beispiel, wie das neue Mobile Measurement 2.0 mehr Ordnung und Flexibilität in die unübersichtliche Flut aus mobilen Datenquellen bringen soll. Außerdem erklärt der CEO, warum adjust zwar 80 Prozent seiner Umsätze außerhalb Deutschlands macht, der deutsche Markt für das Unternehmen aber trotzdem von hoher Bedeutung ist und warum die ständige Erfindung neuer Buzzwords die Branche von den eigentlich wichtigen  Themen wie Datensicherheit ablenkt.

mobilbranche.de: Christian, wie hat sich adjust seit unserem Hausbesuch bei Euch im Herbst 2015 weiterentwickelt?

Christian Henschel: Phänomenal! Um es in einem Wort zusammenzufassen, wir haben so ziemlich jeden Punkt, den wir seinerzeit besprochen haben, umgesetzt. Seit unserem letzten Gespräch haben wir nicht nur weitere Büros in beispielsweise Paris, Jakarta, Moskau oder New York eröffnet, wir haben auch über 100 weitere Mitarbeiter gewinnen können und sind heute mehr als 150 Kollegen weltweit.

Wir sprachen 2015 auch über Ad Fraud und zum damaligen Zeitpunkt waren wir in der Beta-Phase des Produktes. Heute nutzen weit über 150 Unternehmen unsere Fraud Prevention Suite und identifizieren gefälschten Traffic im Volumen von rund $100 Millionen pro Monat. Das sind mehr als $1 Milliarde im Jahr, die unsere Kunden effizienter einsetzen können. Die Fraud Detection hilft dem gesamten Mobile-Ecosystem, da es die guten Anbieter im Markt unterstützt und die Betrüger bestraft.

Generell lässt sich sicher sagen, dass die Themen Mobile Attribution und Analytics heute bei fast jedem großen und ernstzunehmenden App Publishing Unternehmen im Einsatz ist, eine für uns schon damals logische Entwicklung.

mobilbranche.de: In Berlin gegründet, habt Ihr sehr schnell internationalisiert. Wie wichtig ist der deutsche Markt heute überhaupt noch für Euch?

Christian Henschel: Deutschland ist und wird für uns immer wichtig bleiben, schließlich haben wir hier vor ziemlich genau 5 Jahren in einer kleinen Wohnung in Pankow angefangen. Speziell Berlin ist als Standort enorm wichtig, weil wir hier Zugang zu exzellenten Mitarbeitern haben, die aus der ganzen Welt in diese Stadt kommen. Das ist für mich als Berlin-Fan eine schöne Entwicklung.

Auch der deutsche Markt ist für uns von zentraler Bedeutung. Wir arbeiten mit den größten Unternehmen Deutschlands, wie zum Beispiel Otto, VW, Scout Gruppe oder der Deutschen Telekom seit Jahren erfolgreich zusammen. Und das sicher nicht nur, weil wir das einzige Produkt in unserem Marktsegment sind, das eine komplett Privacy Compliant Lösung anbieten kann, sondern auch weil wir ein Level an Kundensupport anbieten, den andere aufgrund geografischer oder kultureller Gegebenheiten niemals anbieten können.

Unsere internationale Ausrichtung ist auch für den deutschen Mobile-Markt von großer Bedeutung. Wir machen zwar über 80 Prozent unserer Umsätze außerhalb Deutschlands, unsere Kunden schätzen aber insbesondere, dass sie von den Erfahrungen profitieren, die wir in anderen Märkten machen. Wir leisten hier sicher einen wichtigen Beitrag zum globalen Know-How Transfer, von dem eben gerade deutsche Unternehmen profitieren können.

mobilbranche.de: Umgekehrt expandieren Eure internationalen Wettbewerber mit immens hohen Finanzierungsrunden und eröffnen auch hierzulande Ihre Büros. Wie wollt Ihr gegen AppsFlyer und Co. punkten?

Christian Henschel: Wir sehen dem sehr gelassen entgegen. Vor gut zwei Jahren hatte es ja bereits ein Mitbewerber in Berlin versucht und heute ist das Büro geschlossen bzw. haben alle lokalen Mitarbeiter das Unternehmen bereits wieder verlassen. Wir sind seit gut zwei Jahren profitabel und haben fast die gesamte letzte Finanzierungsrunde noch auf dem Konto, aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind wir also sehr gesund aufgestellt. Und wenn man unsere Kunden fragt, was sie bewegt, dann ist sicher eine der größten Ängste die Datensicherheit. Was passiert mit meinen Daten, wenn mein Dienstleister nicht profitabel operiert? Werden die Daten anderweitig verwertet? und ist das Unternehmen langfristig selbstständig überlebensfähig? Das ist insbesondere dann wichtig, wenn man mit so sensitiven Daten umgeht, wie wir das tun. Unsere Kunden vertrauen uns und wollen, dass wir langfristig mit ihnen gemeinsam erfolgreich sind. Genau das wollen wir auch.

Darüber hinaus sind hohe Finanzierungsrunden kein Beweis für die Performance eines Unternehmens, sondern wahrscheinlich eher ein Beleg dafür, dass es aus sich selbst heraus nicht bestehen kann. Ein für viele unserer Kunden viel zu hohes Risiko. Was passiert, wenn man neues Kapital einsammeln muss, dies aber aus irgendwelchen Gründen nicht klappt? Wo wird dann gespart und was bedeutet das für die Kunden und ihre Daten?

Alle großen internationalen VC Fonds haben bei uns angeklopft, wir sind aber mit hoher Profitabilität in den letzten Jahren um mehrere hundert Prozent jährlich gewachsen, benötigen also kein externes Kapital. Damit geben wir unseren Kunden die Sicherheit und Beständigkeit, die sie letztlich auch von uns erwarten.

mobilbranche.de: Für dieses Jahr habt Ihr eine Produktoffensive angekündigt. Was erwartet Eure Kunden und die, die es noch werden sollen?

Christian Henschel: Kürzlich haben wir unsere Mobile Measurement 2.0 gelauncht. Measurement 2.0 ermöglicht Marketingspezialisten noch mehr Ordnung und Flexibilität in die unübersichtliche Flut aus mobilen Datenquellen zu bringen als bisher. Im Vordergrund stehen eine bessere Messbarkeit von Kosten, Einnahmen und ROI (return on investment), die anonymisierte Segmentierung von Nutzern, als auch die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Zeitzonen innerhalb von Kampagnen zu wechseln.

Die Produktneuerungen stellen eine grundlegende Veränderung in der Funktionsweise von mobilen Attributions- und Analysedaten dar. Measurement 2.0 ist eine flexible Plattform, die anstelle von festen Datenstrukturen, nicht einfach ankommende Daten aggregiert, sondern diese auf Kundenwunsch verfügbar macht.

Zu den Produktfeatures zählen:

  • On-the-fly Timezone Reporting: Marketer können Kampagnendaten aus verschiedenen Zeitzonen detaillierter auswerten. Die Daten werden ab sofort auf Stunden- statt auf Tagesbasis ausgespielt, um die Unterschiede in den Daten durch beispielsweise Zeitverschiebung transparenter machen zu können.
  • Real ROI: Kosten, Einnahmen und Return on Investment aus mobilen Werbekampagnen werden mit neuen Messwerkzeugen miteinander in Relation gesetzt. Somit wird die Kosteneffizienz einer Kampagne auf einen Blick sichtbar.
  • Audience Builder: Adjust stellt seinen Nutzern in diesem neuen Feature anonymisierte und aggregierte Informationen über einzelne Nutzersegmente zur Verfügung, inklusive der Information über den konkreten Kontaktpunkt zwischen Nutzern und Werbeanzeige.

mobilbranche.de: Eines der großen Themen der Mobilbranche ist derzeit Ad Fraud, also Werbebetrug. Wie schlimm ist es um das Thema bestellt?

Christian Henschel: Ad Fraud ist auch im Mobile eine ernstzunehmende Bedrohung für die Werbetreibenden. Wir selbst kommen in erster Linie mit dem Ad Fraud aus dem Performance Marketing in Kontakt und können aus unseren eigenen Daten ableiten, dass etwa 7% aller Paid Installs auf Fraud zurückzuführen sind. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine lineare Verteilung, im Gegenteil, der Großteil des Frauds verteilt sich auf sehr wenige Advertiser bzw. Apps. Von unseren 2000 Advertisern sind etwa nur 150 akut betroffen. Wer dies ist, ändert sich natürlich konstant. Betroffen sind meist die Advertiser/Apps die am aggressivsten werben. Hohe CPI’s und offene Budgets in Verbindung mit großen Volumen-Erwartungen (und dazu meist weniger Augenmerk auf die Umstände, wie dieses Volumen erreicht wird) begünstigen Fraud und ziehen natürlich betrügerische Quellen magisch an.

Adjusts Fraud Prevention Suite geht aktiv gegen Fake Installs und das sogenannte Organics Poaching durch Click-Spam vor. Dabei legen wir Wert auf die Verhinderung der Attribution, was zum Vorteil hat, dass das Budget des Advertisers nicht belastet wird und der Fraudster am Ende der ‚Wertschöpfungskette‘ leer ausgeht. Andere Anbieter setzen hier stattdessen auf Reporting und überlassen es dem Advertiser sich das verlorene Budget von seinen Partnern zurück zu holen. Der Fraudster ist in diesem Szenario sehr wahrscheinlich bereits mit dem erbeuteten Budget über alle Berge. Unsere Technologie setzt früher an und schiebt vor dem Betrugsfall einen Riegel vor.

Zusätzlich bieten wir eine In-App-Purchase-Verification an, welche vor Software-Piraterie und das vortäuschen von In-App-Käufen schützt.

mobilbranche.de: Was beschäftigt die Mobilbranche aus Deiner Sicht derzeit noch? Was sind weitere Herausforderungen?

Christian Henschel: Wir feiern aktuell unser fünfjähriges Bestehen und für mich ist es toll zu erleben, wie groß und erwachsen die Branche inzwischen geworden ist. So groß jedenfalls, dass man mit all den Experten nun eine eigene Konferenz machen kann.

Das größte Problem der Marketingindustrie ist sicher die Erfindung neuer Buzzwords im monatlichen Rhythmus, die ein wenig von den eigentlichen Inhalten ablenken. Für mich ist das Thema Daten besonders wichtig und mit dieser Ansicht bin ich sicher nicht allein. Im Fokus sollte stehen, dass Werbetreibende die für sie wichtigen Daten erhalten und nicht mit für sie irrelevanten Daten überschüttet werden. Hier sehen wir eine der größten Herausforderungen: Wie schafft man es, wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden? Wie kann man segmentieren und aggregieren und wie kann man Informationen für unterschiedliche Player verfügbar machen? Genau daran arbeiten wir, weil wir davon überzeugt sind, dass wir in der perfekten Position sind, genau diese Dienstleistung für das Ökosystem anbieten zu können. Wir wollen für unsere Kunden den Umgang mit Daten insgesamt einfacher machen und zwar alles im Rahmen des deutschen Datenschutzes.

mobilbranche.de: Am 1. Juni veranstaltet Ihr zum zweiten Mal die Mobile Spree Conference. Was erwartet die Teilnehmer?

Christian Henschel: Wir haben das gut zusammengefasst: no sponsors, no sales pitches, no booths and no bullshit. Das beschreibt im wesentlichen das Mantra dieser Konferenz. Es gibt mittlerweile ja ausreichende Event-Angebote im Mobile Bereich, mit steigender Quantität nimmt die Qualität nicht zwangsläufig zu. Im Kern geht es darum, das Mobile Marketer sich mit Gleichgesinnten austauschen und voneinander lernen können. Und die Speaker, die wir gewinnen konnten, spielen alle in der Champions-League des Mobile Marketings. Nur dass bei uns 20 Mann spielen (sprechen), das Spiel den ganzen Tag dauert und am Ende alle gewinnen. 🙂

In diesem Jahr werden wir das Event auch nach San Francisco exportieren und wir erwarten dort einen ähnlichen Erfolg wie in Berlin.

mobilbranche.de: Vielen Dank für das Interview!

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