Die Macher von adjust im Interview: „Wir können das SAP des Mobile Advertising werden.“

Bei adjust im Büro-Christian Henschel und Paul Müller
Bei adjust im Büro: CEO Christian Henschel und CTO Paul H. Müller

„Wir können das SAP des Mobile Advertising werden“, sagt Christian Henschel, Mitgründer und CEO des Berliner Mobile-Analytics-Unternehmens adjust, das kürzlich eine Kapitalspritze in Höhe von 15 Mio Euro eingesammelt hat. Im großen Interview mit mobilbranche.de erzählen Christian Henschel und Mitgründer Paul H. Müller, warum sich das Unternehmen trotz Übernahmeangeboten gegen den „typisch deutschen Exit“ entschieden hat. Zudem erzählen die Beiden, wie adjust mit neuen Produkten für bessere mobile Werbung sorgen und damit endgültig zum Big Player im Mobile Advertising aufsteigen will.

Die Berliner Startup-Szene boomt. Fast täglich werden neue Unternehmen gegründet – und fast täglich werden Startups wieder eingestampft. Eine der größten Berliner Erfolgsgeschichten ist sicher adjust, ein 2012 unter dem Namen adeven gegründetes Unternehmen, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Erfolg von App-Werbung zu messen. Beim Betreten des Berliner Büros in Berlin Mitte vis-a-vis zum Berliner Fernsehturm und in direkter Nachbarschaft zu Startups wie Lovoo, wooga oder adsquare merkt man sofort: hier ist Leben in der Bude. Das Büro hat das Flair eines modernen Hostels, wo sich die Menschen von überall auf der Welt treffen. Doch im Unterschied zum Hostel bleiben fast alle. Montag fangen wieder sechs Neue an, sagt Christian Henschel. Nicht die Kohle, sondern vor allem das gute Arbeitsklima, attraktive Standorte wie Berlin und San Francisco und die Aussicht darauf, gemeinsam etwas Großes zu schaffen seien Anziehungspunkt für Fachkräfte aus aller Welt. Mit frischem Kapital auf der hohen Kante will adjust nun nicht nur weiter international expandieren, sondern vor allem seine Produkte verbessern.

Fokus auf TV-Werbung

Dabei hat es adjust u.a. auf die Flimmerkiste abgesehen: Nachdem das Berliner Unternehmen seine App-Analyse-Software bereits aufs Apple TV gebracht hat, will adjust nun auch den normalen Fernseher erobern. Ziel ist es, die Wirksamkeit der boomenden App-Werbung im klassischen TV besser zu messen. Mit Wywy als erstem Partner für sogenanntes TV-Tracking zeigt adjust seinen Kunden künftig, welche Werbespots zu welcher Zeit auf welchem Sender welche Downlodas gebracht haben. „Nutzer können über ihr Dashboard verschiedene Attribution-Partner nutzen. Demnächst wird ein neues Feature für die Impression-Analyse dazu kommen, wo jeder der 700 Partner API-basierte Impression-Auswertungen durchführen kann„, erklärt adjust-CTO Paul H. Müller. Große Stücke hält Müller auch auf das neue Apple TV: „Beim Apple TV wird sich innerhalb der nächste drei Jahre ein ganz neues Ökosystem entwickeln. Ich glaube, wenn Apple das pusht, wird daraus eine ganz neue Kategorie entstehen.“

Fraud Prevention: Die Spreu vom Weizen trennen

Als nächstes großes Thema steht Fraud Prevention bei adjust auf dem Plan. Dabei geht es darum, Parameter herauszufinden, die auf betrügerische oder wenig nutzbringenden Traffic und App-Downloads hinweisen. Es gebe zwar bereits Anbieter, die Ähnliches machen, deren Technologie komme aber meist aus dem Online-Bereich und sei eigentlich nicht auf Apps übertragbar. „Apps sind nun mal keine Webseiten, das hat man schon bei Themen wie Analytics gesehen. Deshalb gibt es uns ja überhaupt“, sagt Paul H. Müller. Das fange schon bei App-Installationen an, die es so im Online-Bereich als Kennzahl überhaupt nicht gebe. Statt um Klicks geht es um Installs, die App-Anbietern aber nur dann etwas bringen, wenn die App im Anschluss auch tatsächlich genutzt wird. Ein neues Analyse-Produkt soll Werbetreibenden dabei helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen und gute von schlechten App-Downloads zu unterscheiden. Kunden können künftig bei ihren App-Kampagnen gewisse Ausschlusskriterien wie z.B. Downloads aus bestimmten Regionen oder Installs über Proxy-Server festlegen, für die sie am Ende nicht bezahlen.

Eine entsprechende Software-Lösung soll noch dieses Jahr als Beta-Version starten, Anfang nächsten Jahres Jahr soll ein neues Produktpaket gelauncht werden. Das neue Produkt ist auch eine Kampfansage an so manches Affiliate-Netzwerk und so manchen Publisher. Christian Henschel und Paul H. Müller wollen die neue Software aber vor allem als Qualitätsoffensive für mobile Werbung verstanden wissen. So sollen die Kriterien, nach denen vereinfacht gesagt gute von schlechten Installs differenziert werden, transparent kommuniziert werden. Mit Gegenwind rechnet adjust trotzdem. Müller schätzt das Einsparpotenzial auf hunderte Millionen Euro. Eine Menge Kohle, die Werbenetzwerken und vor allem windigen App-Publishern womöglich durch die Lappen gehen. Christian Henschel sieht sein Unternehmen mittlerweile von der Marktmacht her aber „in der Position, das zu machen“.

„Wir wollen niemanden aus dem Markt rausdrängen. Ganz im Gegenteil: Wir wollen erreichen, dass die Kunden noch mehr Geld in mobile Werbung investieren. Das geht aber nur, wenn die Unternehmen die Sicherheit haben, dass sie nicht betrogen werden“, betont Henschel. Weil viele Werbetreibende kein Vertrauen in mobile Werbung hätten, würden viele Unternehmen ihre Werbedollars fast nur in die „Big 3“ des Mobile Advertising stecken. Mobile Advertising beschränkt sich in diesen Zusammenhang übrigens vor allem auf das Smartphone. adjust könne seine Technologie theoretisch zwar auf Wearables oder Smart Homes ausweiten, Werbung auf Smartwatch und Co wird momentan allerdings – zumindest bei adjust – nicht nachgefragt.

„Entweder wir machen den typisch deutschen Exit oder wir machen eine riesige deutsche Erfolgsstory daraus“

Sehr wohl gefragt ist adjust mittlerweile bei Investoren. Nur weil adjust mittlerweile eigenen Angaben zufolge weltweit Marktführer ist,  rennen internationale Wagniskapitalgeber dem Unternehmen noch immer nicht die Bude ein, doch „es ist insgesamt leichter geworden, als deutsches Unternehmen an eine Finanzierung zu kommen“. Die jüngste Finanzierungsrunde über 15 Mio Euro war laut Henschel nicht aus finanzieller Not geboren: „Wir hatten zwei Optionen: Wir machen den typisch deutschen Exit oder wir machen eine riesige deutsche Erfolgsstory daraus“, beschreibt Henschel den Entscheidungsprozess. Weil alle Faktoren gestimmt hätten, habe man sich zu einer erneuten Finanzierung entschlossen.

Das Standing deutscher Startups bei internationalen Investoren habe sich innerhalb der letzten Jahre gewandelt: „Wir haben mit einigen VCs gesprochen, die sich sofort ins Flugzeug gesetzt haben und nach Berlin gekommen sind. Das war vor einigen Jahren noch unvorstellbar.“ Oft scheiterten Investments daran, dass adjust nicht komplett in die USA ziehen wollte. Das sei bei vielen Gesprächen mit US-Fonds der Knackpunkt gewesen – ein Statement für Berlin als Standort. 

Übernahme-Angebote gab es laut Henschel für adjust genug, ein Verkauf kam bisher aber nicht in Frage. Grundsätzlich ausschließen will Henschel einen Exit zwar nicht, momentan liege der Fokus aber vor allem darauf, das Unternehmen zu einem Global Player zu machen. „Wir haben die Möglichkeit, ein SAP für Mobile Advertising zu bauen“, so Henschel.

Dass Konkurrenten wie Tune oder AppAnnie mittlerweile mit eigenem Büro in Berlin auch in Deutschland unterwegs sind, beeindruckt die adjust-Macher wenig. Sie schätzen ihren Marktanteil auf rund 50 Prozent, bei Premium-Publishern deutlich höher auf rund 80 Prozent. Das ist auch die Kundengruppe, die adjust besonders im Blick hat. „Wir wollen an die General Electrics und Walmarts ran“. Große Kunden wie Edeka oder VW gehören bereits zum Kundenstamm. Seit Anfang des Jahres ist adjust eigenen Angaben zufolge profitabel, dieses Jahr will das Berliner Unternehmen mit einem siebenstelligen Gewinn abschließen.

Weitere Standorte geplant: adjust will nach Brasilien

adjust plant für das 1. Halbjahr 2016 zudem ein neues Büro in Brasilien und will innerhalb des nächsten Jahres die Mitarbeiterzahl von über 80 auf 160 verdoppeln. Der Umstand, das adjust als „Great Place to Work“ bekannt ist und die Leute gern nach Berlin kommen, spielt adjust beim „War of Talents“ in die Karten. Der jährliche Mitarbeiterurlaub auf Kosten der Firma zahlt sich also aus. Auch in Berlin sucht adjust nach einem neuen Place to Be. Ein zentrales Büro mit rund 1.500 qm und Loft-Charakter ist momentan allerdings ziemlich gefragt.

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