Kann das Smartphone den stationären Einzelhandel vor der Bedrohung durch große Online-Händler wie Amazon retten? Keine einfache Frage, der sich die Redner unseres 23. Mobilisten-Talks gestern im Telefónica BASECAMP in Berlin stellten. „Das Smartphone als Enabler schafft es, Online- und Offline-Welt miteinander zu verbinden, aber dazu müssen wir die Customer Journey richtig verstehen“, waren sich die Experten Milan Antonijevic (CELLULAR), Frederic Handt (Bonial), Daniela Horn (PAYBACK), Christopher Hill (App Annie), Sebastian Bomm (KOMMERZ), Benjamin Thym (Offerista) sowie Jens Lappoehn (Telefónica Germany NEXT) einig. Was aber heißt das?
In seiner Keynote betonte Jens Lappoehn, Geschäftsführer der Telefónica Germany NEXT, dass „der klassiche Retailer große Stärken hat – hier kann der Kunde riechen, fühlen, schmecken und ein einzigartiges Kundenerlebnis erfahren.“ Das allein reiche aber nicht aus, die Kunden auch zum Kauf zu animieren. Lappoehn definierte vor allem das sogenannte Omnichannel-Management sowie die veränderte Erwartungshaltung der Kunden als wesentliche Herausforderungen für den Einzelhandel. „Amazon und Co. haben die Messlatte sehr hochgelegt und gleiches wird zunehmend auch von Retailern erwartet“, so Lappoehn. Ein Onliner weiß genau, wo sich der Kunde vorher aufgehalten hat, welche Produkte sich in der Vergangenheit angesehen wurden oder wie lange. Retailer haben dieses Wissen oft nicht. „Genau hier liegt der Schlüssel zum Erfolg. Diese Customer Journey gilt es zu verstehen und zwar, indem Kundendaten übersetzt werden.“ Damit Angebote zielgruppengerecht gestaltet und Marketing-Maßnahmen optimiert werden können, braucht es digitale Mess- und Analyse-Lösungen. Die Analyse von Mobil-, Wifi-, oder kamerabasierten Daten kann hierbei einzigartige Shoppingerlebnisse erzielen und optimierte Verkaufsflächen schaffen.
Dieses Ziel hat sich Telefónica mit seiner gerade mal ein Jahr jungen Tochter NEXT vorgenommen: Große Datenmengen sollen dazu beitragen, IT-Lösungen für Retailer bereitzustellen, damit die Kundenkommunikation verbessert werden kann. Lappoehn erklärte: „Unsere Analysen sind im Einklang mit dem Datenschutz und geben Retailern die Möglichkeit, dem Kunden relevante Angebote auszuspielen und bereits im Laden Retargeting zu ermöglichen, indem zielgruppenspezifisch kommuniziert wird.“
Natürlich spielt das Smartphone dabei eine wesentliche Rolle. Laut aktueller Zahlen, die Christopher Hill, Business Development Manager bei App Annie, in seinem anschließenden Vortrag präsentierte, gab es im letzten Jahr weltweit bereits 3,4 Milliarden mobile Devices. Bis 2021 soll die Zahl auf 6,3 Milliarden Geräte ansteigen. Das hieße, dass fast jeder Mensch auf der Welt ein Smartphone besitzt. Ein unfassbar großer Markt, der nicht nur für Hardware-Hersteller interessant ist, sondern vor allem für mobile Anwendungen. „Rund zwei Stunden verbringen wir im Schnitt in Apps – das sind 85 Prozent der Zeit am Smartphone“, erläuterte Hill. Und das ist nicht nur ein zeitliches Phänomen, denn Hill bezeichnet die Nutzung der Applikationen als mobile Disruption, die unsere gesamte Gesellschaft und unser Verhalten verändert hat. Wir stehen morgens auf und haben eine App als Wecker, schauen dann in die Wetter-App, buchen eine Fahrt über mytaxi und kaufen unterwegs schon den Starbucks-Kaffee. „Die App-Revolution ist entgegen vieler Behauptungen voll im Gange“, ergänzte er. Mobile-Payment-Integrationen und Location Based Services sind seiner Meinung nach die aktuell spannendsten Lösungen. „Was Innovation und mobile Zahlungsmöglichkeiten angeht, wird 2018 noch weitaus mehr Wettbewerb herrschen und darauf muss der Retailer vorbereitet sein – hier lohnt vor allem ein Blick nach Asien, wo zum Beispiel Social Shopping bereits zum Alltag gehört.“
In der darauffolgenden Podiumsdiskussion sprachen sich alle Experten dafür aus, dass die Online- und Offline-Welt besser miteinander verbunden sein muss, damit der Einzelhandel floriert. Frederic Handt, Deutschlandchef von Bonial, entwickelt bereits seit vielen Jahren mobile Einkaufserlebnisse und machte die Problematik an einem Beispiel sichtbar. „Wie kann es sein“, fragte er, „dass ich einen Coupon, den ich mit meinem Handy abfotografiert habe, so nicht im Laden einlösen kann?“ Hier sei es die erste Lernaufgabe der Händler, direkt auf die Wünsche der Kunden zu reagieren.
Milan Antonijevic, der bei CELLULAR den Hamburger Drogeriemarkt BUDNI bei seiner digitalen Tranformation begleitet, betonte wiederum, ein Online-Shop funktioniere nicht für jeden Retailer, weil zum Beispiel Amazon bereits viel zu stark sei. „Jeder Händler muss für sich beantworten können, warum und wie Kunden mit ihm kommunizieren wollen. Die Digitalisierung bringt ganz neue Möglichkeiten, die vorher nicht da waren. Darum muss sich der Retailer fragen, wo und wie Anreize zum Kauf geschaffen werden können.“
Sebastian Bomm, Geschäftsführender Gesellschafter von KOMMERZ und Vertretung für den kurzfristig verhinderten Marcus Diekmann, ist ebenfalls davon überzeugt, dass „digitale Ladenerlebnisse eine neue Erlebnisqualität im stationären Handel ermöglichen.“ Was das Omnichannel-Marketing angeht, hat Offerista-Chef Benjamin Thym wiederum seine eigene Meinung: „Händler sollen nicht dem Irrsinn des Omnichannels verfallen, sondern sich auf Digital Marketing konzentrieren.“ Denn vieles, was online funktioniert, kann auch offline angewendet werden. Zum Beispiel Rabatte während des Einkaufs. „Viele Online-Händler bieten Rabatte an, wenn ich eine bestimmte Warensumme erreiche. Das ermuntert natürlich dazu, mehr zu kaufen. Dieses Denken aber ist bei vielen Retailern noch nicht angekommen“, argumentierte er.
Auf die Frage des Moderators und mobilbranche.de-Gründers Florian Treiß, was denn die größten Herausforderungen seien, um die Customer Journey zu verstehen, sprachen sich die Experten dafür aus, Datenmengen zu analysieren und darauf aufbauend Lösungen für den Einzelhandel zu definieren. „Die digitalen Möglichkeiten sind da, der Retailer muss aber seine Berührungsängste ablegen, um Lücken zu schließen“, fasste Daniela Horn, Leiterin des Bereichs Digital Products bei PAYBACK, zusammen. Es sei an der Zeit, die bereits existierenden Chancen der Digitalisierung und Datenanalyse konsequent für sich zu nutzen.
Zum Ende der Diskussion gaben die Sprecher einen persönlichen Ausblick darauf, wie sie sich den Handel in fünf Jahren wünschen:
Benjamin Thym: „Das Spannende ist, dass wir nicht wissen, mit welchen Themen wir uns in naher Zukunft konfrontiert sehen, weil die Entwicklung einfach rasend schnell ist. Als Chance sehe ich die Verbesserung des Einkaufserlebnisses mithilfe von digitalisierten Kundenerfahrungswerten.“
Sebastian Bomm: „Es wird immer wichtiger, dass der stationäre Einzelhandel direkt auf meine Wünsche reagieren kann.“
Milan Antonijevic: „Ich würde mir wünschen, bei Online-Käufen beispielsweise nicht immer wieder meine Schuhgröße angeben zu müssen.“
Daniela Horn: „Ich möchte einfach Spaß beim Einkaufen haben. Dabei helfen eine Kombination von Handelsangeboten mit intelligenten Einkaufsapps.“
Frederic Handt: „Ich wünsche mir, dass nicht nur Algorithmen eine Rolle spielen, sondern die Wertschöpfung insgesamt sinnvoll ergänzt wird.“
Weitere Fotos vom 23. Mobilisten-Talk „Mobile & Handel“ finden Sie bei Facebook >>
2 Antworten zu “23. Mobilisten-Talk: „Der klassiche Retailer hat große Stärken“.”
[…] Auf mobilbranche.de weiterlesen… […]
[…] „Der klassiche Retailer hat große Stärken“: Das war unser 23. Mobilisten-Tal… von Antje König Der Mobile Growth Stack verhilft Apps zum Wachstum. von Gastautor 22. Mobilisten-Talk: „Die Hausbank der Zukunft ist völlig unsichtbar“. von Philipp von Roeder […]