Unsere Leserinnen und Leser kennen ihn seit Jahren als „Mr. Mobile“: Mark Wächter, langjähriger Vorsitzender der Fokusgruppe Mobile im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Nun läutet der Verband das Ende der Fokusgruppe Mobile ein – und will diese zum Ressort Metaverse transformieren. Dabei ist der Begriff Metaverse in aller Munde, spätestens seit der Facebook-Konzern in Meta umbenannt wurde. Zugleich sind im Netz bereits verschiedene Metaversen wie Decentraland oder The Sandbox entstanden. Wieso sich der BVDW diesem Thema nun mit einem eigenen Ressort widmet, was das Metaverse mit NFTs zu tun hat und ob Metaverse nicht einfach nur ein neuer Begriff für Online-Spiele ist, darüber haben wir mit Mark Wächter gesprochen.
mobilbranche.de: Mark, die Fokusgruppe Mobile im BVDW wird zum Ressort Metaverse. Was ist der Grund dafür?
Mark Wächter: Im Oktober letzten Jahres hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gesagt, dass das Metaverse der logische Nachfolger des Mobile Internets wird. Auch wenn ich am Anfang erst einmal darüber nachdenken musste: Heute bin ich mir mit vielen internationalen Kollegen einig: es wird so kommen. Deshalb habe ich dem Verband vorgeschlagen, dass wir aus der Fokusgruppe Mobile das Ressort Metaverse machen. Denn das Metaverse ist genauso wie Mobile ein Layer, der sich in den nächsten Jahren sukzessive auf das jetzige Internet legen wird und alle Bereiche der Digitalen Ökonomie erfassen wird.
Ressorts sind für gremienübergreifende Themen im Verband im Sinne eines Lenkungskreises zuständig und direkt unter dem BVDW-Präsidium angesiedelt. Es gibt bereits Ressorts im BVDW wie zum Beispiel zum Thema Künstliche Intelligenz oder auch Data Economy. Auch wenn wir die Fokusgruppe Mobile jetzt auslaufen lassen, so werden wir uns natürlich auch im Ressort Metaverse weiterhin mit mobilen Themen beschäftigen. Nehmen wir die Transformation des Smartphones: Ein Apple-Analyst prognostizierte vor kurzem, dass Apple das Smartphone in zehn Jahren durch Augmented Reality ersetzen wird. Und diese Reise wollen wir natürlich begleiten.
mobilbranche.de: Jetzt ist ja Metaverse so ein Begriff, der seit einigen Monaten durch die Fachwelt geistert. Wie würdest du das definieren?
Mark Wächter: Es ist die nächste Infrastrukturplattform für das Internet. Wir hatten erst die Phase des Web 1.0, das war „read-only“ zum Beispiel mit dem Netscape-Browser. Später folgte die Web-2.0-Phase („read-write“), in der wir noch immer sind, wo v.a. große Plattformen dir anbieten, aktiv im Internet zu sein – via Social Media, E-Commerce und so weiter. Seit Aufkommen der Blockchain-Technologie gibt es eine Bewegung, die das Web 3.0 („read-write-execute“) entwickelt, also ein dezentralisiertes, Blockchain-basiertes Internet ohne Tech-Plattformen als Mittler und ohne das systematische Ernten von Nutzer- und Nutzungsdaten. Große Teile des heutigen Metaverse sind so angelegt. Aber natürlich haben auch alle etablierten Spieler ihre ganz eigene Metaverse-Strategie.
Mark Zuckerberg spricht von einem „verkörperten Internet“, das wir betreten. Ich trete mit meinem Avatar ein und bin mir meiner virtuellen Präsenz bewusst, sehe Kollegen und kann auch „fühlen“ – zum Beispiel über haptische Sensoren, die ich in der realen Welt auf der Haut trage. Ich habe verschiedene Zugangspunkte technologischer Art ins Metaverse. Ich kann das über VR-Headsets machen. Ich kann das über AR-Brillen machen. Da habe ich dann noch die reale Welt im Hintergrund sichtbar. Ich kann das schon länger auch über das Smartphone machen, also via Apps mit entsprechenden AR-Layern. Auch Google Maps ist im Grunde genommen ein erster Schritt in diese Richtung. Egal, wo du stehst auf dieser Welt: Du hast einen Technologie-Layer, den du zuschalten kannst und der dich (zunächst virtuell) verortet. Und ich glaube, da geht die Reise hin. Es gibt nicht die eine Definition für das Metaverse. Es gibt da draußen unterschiedlichste Herangehensweisen und Plattformen wie Pokémon Go, Fortnite, Decentraland, Horizon Worlds und eine Menge mehr. Genauso viele Definitionen gibt es auch zurzeit. Es wird eine wichtige Aufgabe dieses Ressorts sein, für uns im deutschen Markt eine vernünftige Definition zu entwickeln.
mobilbranche.de: Also war sowas wie die Hotelsuche von HRS per Augmented Reality mitten in der Stadt, wie sie unter Marco Hauprich schon 2011 entstanden ist, auch schon ein Schritt in Richtung Metaverse?
Mark Wächter: Wenn man so will, ja. Natürlich auch Second Life. Das wurde schon 2003 gelauncht. Die haben heute noch 65 Millionen Einwohner. Und sie kriegen gerade so eine Art zweite Luft und gelten gleichzeitig als Vater der Entwicklung. Technologisch werden wir vielleicht über das Kambrium des Metaverse lachen in einiger Zeit, aber es sind eben alles Schritte Richtung virtueller, begehbarer 3D-Welt. Auch hier im deutschen Markt, den du angesprochen hast, gibt es eine Menge Player. Zum Beispiel hat Netbiscuits-Gründer Michael Neidhoefer, einer der ersten Mitstreiter der Fokusgruppe Mobile, jetzt ein Metaverse-Startup namens ZREALITY. Das zeigt ja auch, dass wir richtig liegen mit der These, dass wir die Fokusgruppe Mobile transformieren müssen in das Ressort Metaverse.
Eine Menge Mobile-Player beschäftigen sich mit der Thematik, wie dieses Internet sich weiterentwickeln soll. China und seine Tech-Player – heute technologischer Vorreiter beim Mobile Internet – nutzen das natürlich jetzt auch als Chance, sehr tief einzusteigen. Damals haben sie das Web-1.0-Internet mit seinen Standards und Protokollen nicht mitgebaut und einfach übernehmen müssen. Und heute nehmen sie sich selbstbewusst die Freiheit zu sagen: „Okay, wir definieren mit, wie das Metaverse funktioniert.“ Und sie reden in diesem Zusammenhang vom „true“ Internet, dem wahren Internet.
mobilbranche.de: Zugleich habe ich das Gefühl, dass plötzlich fast jedes Online-Spiel ein Metaverse sein soll. Ist denn zum Beispiel ein Online-Spiel wie „Animal Crossing“, wo Kaufland jetzt eine virtuelle Insel eingerichtet hat, wirklich gleich ein Metaverse?
Mark Wächter: Der Metaverse-Visionär Matthew Ball sagt ganz klar: Es ist nicht die eine virtuelle Welt eines Games. Die heutige Version des Internets ist auch nicht gemacht für das Metaverse á la Snow Crash von Neal Stephenson. Das Metaverse ist vielmehr eine Mischung aus all dem, was wir gerade erst anfangen aufzubauen. Du brauchst 5G und mehr für extrem geringe Latenz. Du brauchst Künstliche Intelligenz für Machine Learning. Du brauchst Edge-Computing für den verteilten Zugriff. Massive Cloud-Speicher spielen eine Rolle. Das sind alles Technologien, die wir heute haben, die aber natürlich weiter ausgebaut werden müssen.
Intel schätzt, dass wir die tausendfache Computing-Power brauchen, damit das immersive Metaverse-Erlebnis für Millionen gleichzeitig eingeloggter User auch Spaß macht. Es gibt aktuell vielleicht 20 bis 25 solcher Welten, die als rudimentäre Metaverse-Simulationen ernst zu nehmen sind. Ich würde um Gottes willen nicht jedes Online-Game gleich als Metaverse bezeichnen, aber Fortnite-Events geben einem ein Gefühl dafür, wo die Reise hingeht. Tatsächlich distanzieren sich aber viele Gamer davon, vom Metaverse-Konzept vereinnahmt zu werden.
mobilbranche.de: Wie soll dann die Arbeit des Ressorts Metaverse konkret aussehen?
Mark Wächter: Wir werden, Stand heute, vier Labs, also Arbeitsgruppen etablieren. Das eine Thema ist dieser ganze Kosmos Infrastruktur, Endgeräte und Software. Themen wie Realtime-Rendering, Betriebssysteme für AR und VR spielen genauso eine Rolle wie Endgeräte – ob das jetzt die VR-Brille, die AR-Brille, aber eben auch Handschuhe, irgendwelche Biosensing-Kleidung und so weiter, sind. Also das alles und die darunterliegende Infrastruktur, die ich gerade ansprach, mit 5G und Cloud und KI.
Ein weiteres Lab wird sich um Geschäftsmodelle und Ökosysteme drehen. Also wer sind die Player und wie organisieren sie sich? Wer verdient Geld und womit? Das dritte Lab wird sich der Ethik, gesellschaftlichen Aspekten und dem erforderlichen Rechtsrahmen widmen. Und das vierte Lab wird die Transformation des Smartphones begleiten. Wir werden uns also weiterhin ganz genau angucken, was das Mobile First Internet ausmacht und wo da die Reise hingeht.
mobilbranche.de: Stichwort Geschäftsmodelle, hast du da schon ein Gefühl, wohin sich das entwickeln könnte?
Mark Wächter: Aktuell dreht sich viel um NFTs, also nicht austauschbare, einzigartige Digitale Echtheitszertifikate, die mit den jeweiligen nativen Krypto-Tokens in Metaversen wie Decentraland, Superworld oder The Sandbox erworben und gehandelt werden können. Das Thema Metaverse-Commerce ist also stark im Kommen. Und wenn derzeit schon so viele NFT-Marktplätze erfolgreich etabliert werden, dann ist das natürlich auch was für die Amazons und Alibabas dieser Welt, die da massiv einsteigen dürften. Aber wir werden noch jede Menge anderer neuer Spielarten auf uns zukommen sehen. Es gibt zum Beispiel die ersten Firmen, auch in Deutschland, die sich mit Programmatic Advertising im Metaverse auseinandersetzen.
mobilbranche.de: Ist Metaverse ein Wendepunkt in der Mobilbranche?
Mark Wächter: Es ist jetzt grob 15 Jahre her, dass Steve Jobs das iPhone hochgehalten hat und ich glaube, an einem ähnlichen Wendepunkt sind wir heute. Wir wissen, da kommt etwas Großes auf uns zu und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Wir wissen nur noch nicht, wie schnell und in welcher Form. Aber wir werden den Nachfolger des Mobile Internet – das Metaverse – zusammen erobern und besiedeln! Es ist aktuell eine Menge Hype im Thema. Den müssen wir erstmal ein bisschen herausfiltern. Und deshalb ist es gut, dass ein Verband wie der BVDW, der das Thema Mobile in den letzten Jahren intensiv begleitet und gestaltet hat, so eine Initiative gründet.
mobilbranche.de: Danke für das Interview, Mark!
Veranstaltungstipp
Am 24.02.2022 wird das Ressort Metaverse im BVDW im Rahmen einer umfassenden Online-Auftaktveranstaltung vorgestellt. Als Speaker dabei sind u.a. Tareq Nazlawy (Senior Director Digital Growth, adidas) und Dr. Erik Lenhard (Partner and Director, Enterprise Agility, Boston Consulting Group). Programm und Anmeldung finden Sie hier.