Interview: Barrierefreiheit als Gebot des Software-Designs.

„Seit der Corona-Pandemie ist vielen noch bewusster geworden, welch hohe Priorität das Thema Barrierefreiheit bei der Entwicklung von Software einnehmen muss“, sagt Froso Ellina, Product Design Manager bei VMware Pivotal Labs. Ellina arbeitet seit über 12 Jahren mit einem Fokus auf Human-Centered-Design für Kreativagenturen und Softwareunternehmen. Im Interview mit mobilbranche.de verrät sie, was wichtig ist für digitale Barrierefreiheit.

mobilbranche.de: Was verstehen Sie unter Barrierefreiheit bei Software-Design und -Entwicklung?

Froso Ellina: Designer müssen sich während des Entwicklungsprozesses ein möglichst breites Spektrum potenzieller Nutzer vorstellen und berücksichtigen, wie sich deren persönliche Eigenschaften auf die Interaktion auswirken könnten. Diese unterschiedlichen Eigenschaften und Beeinträchtigungen (insbesondere auf der sensorischen Ebene) zu verstehen und sich in sie einzufühlen, ist extrem wichtig für die digitale Barrierefreiheit. Die Sehkraft ist dabei von besonderer Bedeutung und beginnt sich bereits ab dem Alter von 40 Jahren zu verschlechtern. Digitale Produkte verwenden oft nicht genügend Farbkontrast, um älteren Menschen bei der Unterscheidung von Formen und Texten zu unterstützen. Auch das Hörvermögen nimmt stetig und sogar schon ab 30 ab. Je älter wir werden, desto schwieriger wird es, sehr hohe und sehr tiefe Frequenzen zu erkennen.

mobilbranche.de: Ist das Thema Barrierefreiheit erst seit Corona wichtig oder haben Sie sich schon vorher damit befasst bzw. es in Ihre Arbeit einfließen lassen?

Froso Ellina: Digitale Barrierefreiheit war schon immer wichtig, aber seit der Corona-Pandemie ist vielen noch bewusster geworden, welch hohe Priorität das Thema bei der Entwicklung von Software einnehmen muss.
Gleichzeitig wurden auch schon weit vor der Corona-Krise eine Reihe von softwaregesteuerten Lösungen entwickelt, die Menschen mit Einschränkungen dabei helfen, potenzielle Barrieren bei der Nutzung digitaler Angebote zu überwinden. Außerdem werden zunehmend öffentliche Stellen dazu verpflichtet, ihre digitalen Angebote schrittweise barrierefrei zu gestalten. Wir verstehen also immer mehr, wie wichtig es ist, Software für jeden zugänglich zu machen.

mobilbranche.de: Welche Barrieren gibt es z.B. für ältere Nutzer? Und wie können diese umgangen werden?

Froso Ellina: Wenn Designer zum Beispiel einen Text zu ihrem digitalen Produkt hinzufügen, müssen sie sowohl die Lesbarkeit als auch die Verständlichkeit berücksichtigen. Bei der Lesbarkeit muss der Nutzer in der Lage sein, Buchstaben oder Wörter zu erkennen und zu interpretieren. Dagegen beschreibt die Verständlichkeit das Ziel, die Leseerfahrung für den Nutzer so angenehm wie möglich zu gestalten. Barrierefreies Schriftdesign ist sowohl lesbar als auch verständlich. Damit Nutzern mit Sehschwäche keine Probleme entstehen, sollten digitale Produkte und Dienstleistungen standardmäßig eine Schriftgröße von mindestens 16 Pixeln verwenden (je nach Gerät) und Nutzern die Möglichkeit geben, die Textgröße nach Belieben anzupassen. Neben kurzen Textzeilen sollten Designer außerdem möglichst wenige unterschiedliche Schriftarten verwenden und bei der Wahl darauf achten, dass diese auch in verschiedenen Größen gut funktionieren.

mobilbranche.de: Der Doppelklick in einer App ist aus eigener Erfahrung schon eine Herausforderung. Mit welchem Alternativ-Design kann man den umgehen?

Froso Ellina: Gewöhnlich werden Interaktionen mit echten Nutzern – einschließlich beeinträchtigten Menschen – getestet um zu verstehen, welche Einschränkungen bestehen und was für sie einfacher zu bedienen ist. Zum Doppelklick gibt es viele Alternativ-Designs, dabei ist es stark kontextabhängig und kommt sehr auf die Aktion an, die ausgeführt werden soll. Wenn wir über mobile Anwendungen sprechen, ist der einfache Fingertipp oft am besten geeignet. Viele Menschen mit Einschränkungen nutzen unterstützende Technologien wie sogenannte Screenreader. Diese Bildschirmleseprogramme gehen durch eine Anwendung oder eine Website und vermitteln akustisch Informationen über Schaltflächen und erwartete Aktionen. Unsere Rolle als Designer besteht darin, zusammen mit den Entwicklern sicherzustellen, dass die Screenreader richtig funktionieren und die Informationen umfassend erklären. Wir können jederzeit im Code ändern, was der Screenreader „sagt“, sodass es verständlicher und einfacher für den Nutzer wird.

mobilbranche.de: Was sind Positiv-Beispiele bzw. Ihre Referenzen für barrierefreies Design?

Froso Ellina: Um ein Produkt barrierefrei zu gestalten, ist es wichtig, in der Anfangsphase der Produktentwicklung die richtige Gruppe von Testern einzubeziehen. Für die explorative Forschung können wir auch Nutzer mit Einschränkungen und besonderen Bedürfnissen mit einbinden. Usability-Tests sind hilfreich für ein erstes Feedback, um zu verstehen, wie einfach das Produkt zu benutzen ist und wie reibungslos sich das digitale Erlebnis gestaltet. Dies nennen wir „User Centric Design“-Prozess, indem wir die Nutzer in den Entwicklungsprozess eines digitalen Produkts einbeziehen.

mobilbranche.de: Vielen Dank!

Diesen Artikel teilen

Kommentare sind geschlossen.

Mobilbranche.de Newsletter

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzbestimmungen.