I know where you are – warum Location-Based Services seit 20 Jahren unattraktiv sind.

Key-PousttchiLiebe Mobile-Professionals,

Location-Based Services (LBS) könnte es seit 20 Jahren geben, ohne jedes Datenschutzproblem. Wer den GSM-Standard näher anschaut, stößt auf eine Dienstart namens „Cell Broadcast“, die es dem Mobilfunkanbieter ermöglicht, allen Nutzern in einer (oder mehreren oder allen) Zelle(n) des Netzes eine Kurznachricht zukommen zu lassen, sofern diese den Dienst aktiviert haben. Praktisch sieht das nicht anders aus als die bekannte Roaming-SMS, wenn Sie Ihr Telefon auf einem Flughafen dieser Welt erstmals einschalten: Ein neuer Nutzer betritt das Netz und bekommt eine relevante Nachricht (nämlich was der Spaß kostet und wie die Nummer der Helpline lautet). Ohne Datenschutzproblem? Na klar, denn wenn Sie das mit einem Kunden machen, bieten Sie ihm einen ortsbasierten Dienst an, ohne (!) ihn zu orten oder seinen Standort nachzuhalten. Wenn er da ist, ist er da. Nehmen wir an, jeder Kunde, der eine bestimmte CeBIT-Halle betritt, erhält einen Zugangscode zu Ihrer Standparty (wenn der Dienst etwas intelligenter sein soll und der MNO innovativ ist, können Sie dies auf Ihre Bestandskunden oder sonstige interessante Gruppen, deren MS ISDN sie auflisten, beschränken). Niemand überprüft ständig, wo der Kunde x ist, aber sobald er sich in Zelle y begibt und den Dienst CB aktiviert hat, bekommt er Ihre Nachricht. Das ist „GSM pur“, no fancy tricks, no tracking & tracing bullshit (wie er heute üblich ist, um es mal ganz deutlich zu sagen, aber dazu später mehr).

Nette Beobachtung: Auf meinem Telefon (beginnend mit dem Siemens S55 – Sie ahnen, wie lange das her ist) war jahrelang „CB“ aktiviert, ohne dass ich – oder ein anderer Kunde – jemals eine einzige Nachricht eines Drittanbieters bekommen hätte. Dafür gibt es nur zwei mögliche Erklärungen: (1) Die MNO waren nicht innovativ genug, um entsprechende sinnvolle (also dem Kunden nicht auf die Nerven gehende und trotzdem für Werbetreibende attraktive) Dienste zu entwickeln. (2) Die MNO hatten derart viel Angst vor einem „Spam-Feeling“ der Kunden und/oder der darauf folgenden Regulierung, dass sie die Finger davon gelassen haben. (Btw: Beides trifft zu.) Für die MNO war dieses Eisen so heiß, dass sie es allenfalls für eigene Zwecke verwendet haben. Schade eigentlich.

Apropos „den Kunden orten“. Sie wissen, Wissenschaftler halten sich gern an sauberen Begriffen fest. Und weil der Fachbegriff im Englischen „Positioning“ lautet, übersetzt der des Englischen nicht so Kundige das auch für LBS gern mit „Positionierung“ (=das Verbringen einer Person oder eines Gegenstandes an einen Ort). Auch wenn „Ortung“ beim Bullshit Bingo viel uncooler klingt: Nur das bedeutet, den Standort eines Gerätes festzustellen. („Positioning“ ist mit beidem richtig übersetzt, aber ein LBS für die Tourismus-Branche, der mit Positionierung des Kunden arbeitet, bedeutet, daß sie den Kunden via Mobiltelefon z.B. nach Mallorca beamen – innovativ, aber noch nicht State-of-the-Art). Richtig lustig wird es allerdings bei „Lokalisierung“, das ist nämlich in Wirklichkeit die Anpassung (z.B. einer Software) an einen Ort, etwa die Anpassung einer App auf den deutschen Sprachraum und das deutsche PLZ-Format. Nur, damit niemand bei richtigen Profis nicht zu Unrecht in der Deppen-Schublade landet oder Sie beim nächsten Bullshit-Bingo was zum Schmunzeln haben…

Nachdem CB also (unverdienterweise) ein Stiefkind blieb, kam ungefähr mit der paketvermittelten Datenübertragung plötzlich Ortung auf. Dafür gibt es drei Möglichkeiten: Das Netz ortet das Endgerät, das Endgerät ortet sich im Netz oder es wird ein spezialisiertes Ortungssystem verwendet, z.B. GPS. Die ersten beiden mögen sehr ähnlich klingen, weisen aber unter Datenschutzaspekten natürlich dramatische Unterschiede auf. Da heute praktisch jedes Mobiltelefon über GPS verfügt, verlässt man sich in der Regel darauf (oops – bevor das passierte, hatten die MNO 15 Jahre Zeit, ihren Vorteil intelligent auszuspielen und haben es nicht getan). Nebenbei, den Erstzugriff auf die GPS-Satelliten hat das US-Militär, verlassen Sie sich also für Ihr Flottenmanagement nicht zu sehr darauf.

Wenn Ortung ins Spiel kommt, können Sie LBS nach dem Location-L klassifizieren. Das ist im Wesentlichen eine Kombination der Dimensionen „Standort des Auslösers“ und „Standort des Ziels“, die jeweils in die Ausprägungen „ermittelt“, „vorgegeben“ und „irrelevant“ unterschieden werden. Prinzipiell ergibt das eine 3×3-Matrix, aber wenn mindestens einer der Standorte durch Ortung ermittelt werden soll, fallen vier Kombinationen raus und die restlichen fünf Standardtypen bilden ein hübsches „L“ –  das Location-L.

Wenn damals Studenten in einer Klausur den berühmten Geldautomatenfinder aus dem M-Banking einsortieren mussten, gaben diese nicht selten den Standardtyp „ermittelt/ermittelt“ an (und wollten also nicht nur den Nutzer, sondern auch den Geldautomaten bei jedem Dienstabruf orten – ohne Mobilfunk- oder GPS-Modul). Klingt wenig sinnvoll, ist aber nicht weit entfernt von dem zu dieser Zeit unglücklichen Verständnis für LBS in der Branche.

Heute, im GPS-Zeitalter, wollen sogar Apps wie der Battery Optimizer, der QR-Code-Scanner oder das Speicher-Aufräum-Tool Ihren Standort fortlaufend verfolgen. Soviel zum Thema „tracking & tracing bullshit“. Gerechtfertigter Grund: Fehlanzeige. Oder anders: Versuche ich, auf meinem Blackberry (z.B. im Ausland) im WLAN Google Maps aufzurufen ohne dass GPS oder Mobilfunk-Datenübertragung aktiviert ist, weigern sich sowohl die Webseite als auch die App –  das sagt bereits eine Menge darüber, was Google von mir will. (Aber viele Nutzer klicken trotzdem „accept“ für ihre Ortsdaten – dazu mehr in einer späteren Kolumne). Übrigens, amerikanische Kollegen haben vor einiger Zeit gezeigt, dass eine Anonymisierung von Ortsdaten weder sinnvoll noch möglich ist: Bereits wenn Sie von einer Person die zwei häufigsten Standorte kennen (=Work + Home), können Sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Identität bestimmen.

Ein charakterisierendes Merkmal mobiler Dienste ist die Kontextsensitivität. Eigentlich hat diese drei Dimensionen: Personalisierung, Interaktivität und Ortsbestimmung, jeweils mit einigen Unterkategorien. Weil dazu aber niemandem etwas eingefallen ist, ist die Ortung des Nutzers (die eigentlich auch nur eine Unter-Kategorie der Ortsbestimmung ist) seit vielen Jahren der Inbegriff des kontextsensitiven Dienstes. Und weil man auch damit unkreativ umgegangen ist, sind ortsbasierte Dienste bis heute  unattraktiv. Das ist wie bei CB: schade eigentlich. Dabei müsste man sich doch nur überlegen, was der Nutzer wann wirklich brauchen kann (oder sogar cool findet), ohne sich zu sehr beobachtet zu fühlen…

Aber dazu müsste man ja den Kunden kennen und sich wirklich intensiv mit Kundensicht und -bedürfnis beschäftigen. Das aber überlassen wir in dieser Branche doch lieber den Algorithmen, z.B. künftig den Big-Data-Techniken, mithin den AGFEAs, die als einzige genug Daten haben. Die finden das sehr okay und werden den Kunden spannende Angebote machen. Welche Folgen das für die anderen Player hat, steht auf einem anderen Blatt. (Für die MNOs unter uns: Die Story heißt „How to get irrelevant in two easy lessons“.)

Übrigens, die richtig moderne Variante von LBS (und eigentlich sogar von Cell-Broadcast) heißt Low-Energy-Bluetooth (oder „iBeacon“, wenn Sie Apple fragen, aber PayPal ist mit seinen Vorstellungen auch nicht weit entfernt), ist mit M-Payment gekoppelt und soll den Kunden beim Real-World-Shopping genauso transparent machen wie im E-Commerce. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bleiben Sie mobil!

Unterschrift Key Pousttchi

Über den Autor:

Key Pousttchi ist einer der international führenden Mobile-Business-Experten. Er baute ab 2001 die Forschungsgruppe wi-mobile an der Universität Augsburg auf und ist bislang der einzige deutschsprachige Wirtschaftsinformatiker, der zum Mobile Business promoviert (2004 zu M-Payment) und habilitiert (2009 zum Einsatz von Mobile Business in Unternehmen und Angeboten für Endkunden) wurde. Vortragstätigkeit und Projekte führten ihn nach Nordamerika, Asien und Afrika, seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Er ist Inhaber der wi-mobile Dr. Pousttchi GmbH, in der Praxis als Strategieberater, Keynote-Speaker und Aufsichtsrat tätig sowie gefragter Gesprächspartner der Medien, von Deutschlandfunk und ZDF bis zur „New York Times“. 2013 holte er die International Conference on Mobile Business im zwölften Jahr ihres Bestehens erstmals nach Deutschland.

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