Interview: Ansgar Hein über barrierefreie Apps und Web-Apps für Kommunen.

Ansgar Hein ist Geschäftsführer der Düsseldorfer Agentur anatom5 und unterstützt seine Kunden seit 2003 in allen Bereichen der Kommunikation mit Schwerpunkt auf barrierefreien Internet- und Intranettechnologien. Am 23. Mai wird er in Berlin auf dem Internet-Kongress iico2012 über mobile Web-Apps referieren und dort die App „Kleve to go“ der Stadt Kleve vorstellen. „Kommunen müssen auf allen Kanälen präsent sein, sei es nun Facebook, Twitter oder eben das mobile Internet“, sagt Hein – doch zugleich spüren die Kommunen den Kostendruck stärker als Unternehmen. „Kleve to go“ ist daher ein Prototyp einer Web-App für Android und iOS, die im Wesentlichen mit hübsch aufbereiteten Daten aus dem Webauftritt versorgt wird und diese zielgruppengerecht aufbereitet.

mobilbranche.de: Herr Hein, der Schwerpunkt Ihrer Agentur anatom5 liegt seit Jahren auf barrierefreiem Webdesign. Welche Erfahrungen aus diesem Bereich helfen Ihnen bei der Entwicklung von Apps für Ihre Kunden?

Ansgar Hein: Mobile Endgeräte haben wir im Zuge der Barrierefreiheit schon lange vor iPhone und Co. auf dem Radar gehabt, denn die notwendige Trennung von Inhalt und Design bei der Entwicklung barrierefreier Internetseiten, sowie die geforderten Farbkontraste und die Skalierbarkeit halfen schon immer dabei, flexibel auf jede Bildschirmgröße reagieren zu können. Hinzu kommen Aspekte der Benutzerführung und der Performance, die für uns schon immer ganz oben auf der Agenda standen und stehen. Der Vorteil heutiger Apps liegt vor allem darin, dass die Endgeräte mehr Möglichkeiten bieten – seien es nun HTML5 und CSS3, oder aber einfach bessere (weil größere) Displays.

mobilbranche.de: Auf dem iico Kongress stellen Sie die App „Kleve to go“ der Stadt Kleve vor. Was ist daran so interessant, dass Sie die App dem kritischen Hauptstadt-Publikum in Berlin vorstellen?

Ansgar Hein: Kommunen spüren den Kostendruck mehr als Unternehmen. Gleichzeitig haben sie eine Vielzahl von „Fans“, die bestimmte Erwartungen haben: Kommunen müssen auf allen Kanälen präsent sein, sei es nun Facebook, Twitter oder eben das mobile Internet. Und genau da setzt unser Konzept an: Kostengünstige Apps für Kommunen zu erstellen, ohne dabei „Gleichmacherei“ zu betreiben. Kleve ist der Prototyp einer WebApp für Android und iOS, die im Wesentlichen mit hübsch aufbereiteten Daten aus dem Webauftritt versorgt wird und diese zielgruppengerecht aufbereitet. Hinzu kommt ein Ideen- & Beschwerdemanagement, das mit Hilfe von Geokoordinaten, Fotos und Feedback dafür sorgt, dass z.B. Schlaglöcher erkannt und beseitigt werden können, oder aber Spielplätze sicherer werden. Heute hat jeder nunmal sein Smartphone mit dabei. Aber auch im täglichen Einsatz ist Kleve To Go ein echter Helfer: Vor allem der Terminkalender mit Events wird gerne genutzt. Das Beste aber ist: Die App kann an jedes Content Management System angedockt werden. Gerade mit Lösungen wie Infopark Cloud Express lassen sich Webinhalte schnell und effizient für den Einsatz im Mobilbereich umsetzen, vor allem dank XML und einer flexiblen App-Architektur, die das Hinzufügen von Modulen und Funktionen zu jedem Zeitpunkt erlaubt. Zudem können die Apps auch gestalterisch komplett individualisiert werden.

mobilbranche.de: Welche Hürden gab es bei der Entwicklung von „Kleve to go“ zu überwinden?

Ansgar Hein: Es war ein sehr ambitioniertes und komplexes Projekt, bei dem vor allem eines schnell klar wurde: Mobile Endgeräte und Browser stecken noch in den Kinderschuhen. Verglichen mit der Entwicklung von Desktop-Browsern und dem Anspruch, den Nutzer in diesem Zusammenhang an Internetseiten haben, mussten wir bei der WebApp deutlich mehr Hürden nehmen, um vergleichsweise weniger zu erreichen. Und das, obwohl wir ausschließlich mit HTML, CSS und JavaScript agierten, also uns wohlbekannten Techniken. Letzten Endes haben wir ja auch erreicht, was wir wollten – nur der ursprüngliche Zeitplan war seinerzeit etwas zu optimistisch gewählt. Daraus haben wir aber gelernt und sämtliche Prozesse entsprechend angepasst.

mobilbranche.de: Können sich Kommunen, die finanziell ja teils recht angeschlagen sind, überhaupt eine eigene App für Ihre Stadt oder Ihren Landkreis leisten?

Ansgar Hein: Die Frage ist eher, ob sie sich eine App leisten wollen. Es geht um das Image und zumeist sind es gerade Bürgermeister und Rat, also politisch motivierte Gremien, die eine App zur Aufbesserung der Außendarstellung nutzen möchten. Frei nach dem Motto: „Schaut her, wir haben eine App – seht, wie modern wir sind.“ Auf der anderen Seite herrscht häufig Ideenlosigkeit darüber, welche Inhalte in einer App dargestellt werden sollen. Und noch schwerwiegender ist die Frage, wer derartige Inhalte pflegt – gerade angesichts knapper Kassen und zunehmender Überlastungen bzw. Stellenstreichungen in den Verwaltungen. Häufig werden wir dann auch gefragt, ob man eine App nicht auch mit Werbung finanzieren kann. Davon raten wir unseren Kunden gerne ab. Interessanter sind hier andere Konzepte, um beispielsweise Unternehmen in der App hervorzuheben und so für den Fremdenverkehr interessanter zu machen. Damit können zum Teil die Kosten der App wieder eingespielt werden. Es ist aber eher so, dass Apps gegenwärtig nahezu reine Image-Projekte sind.

mobilbranche.de: Muss es denn eigentlich immer gleich eine App sein? Was sagen Sie als Experte für Responsive Webdesign dazu?

Ansgar Hein: Nein, es muss wirklich nicht immer eine App sein. Ganz im Gegenteil! Heute gibt es vielschichtige Möglichkeiten, um im Web erfolgreich zu sein und dabei mobile Nutzer mitzunehmen. Wie gesagt: Unsere Expertise für Barrierefreiheit hilft uns schon seit vielen Jahren dabei, Inhalte zielgruppengerecht auszuliefern. Früher haben wir XXL-Versionen – also eine Ansichtsoption rein auf CSS-Basis mit sehr großer Schrift, meist einspaltig und mit verbesserten Kontrasten – für barrierefreie Seiten erstellt, weil wir die Zielgruppe Senioren und sehbehinderte Nutzer im Fokus hatten. Mit dem Aufkommen mobiler Endgeräte entstand ein neuer Markt: Kleine Bildschirme, die von dieser Art der Darstellung extrem profitierten. Heute helfen die Möglichkeiten von CSS3 und den darin vorgesehenen Media-Queries dabei, Webseiten zu erstellen, die sich an den sichtbaren Bereich des Bildschirms anpassen. Responsive Webdesign eben. Leider lässt sich dieser Ansatz nicht nachrüsten, wie man es von einem Rußpartikelfilter am Auto kennt. Auch das hat modernes Webdesign mit Barrierefreiheit gemeinsam, denn schon seit jeher denken wir Lösungen vom Anfang bis zum Ende und erarbeiten das notwendige Konzept. Denn Responsive Webdesign erfordert gleich mehrere Strategien: Auf inhaltlicher Ebene muss ebenso gearbeitet werden, wie auf gestalterischer Seite. Hinzu kommen natürlich konzeptionelle Überlegungen, die auf Navigation und Anordnung der Inhalte im HTML abzielen. Ob nun eine XXL-Version oder ein Responsive Webdesign: Beide Lösungen sind zwar Alternativen zur App, können jedoch deren Bedienkomfort und Vorteile nicht ausgleichen. Und wenn es responsive wird, sind diese Lösungen nicht unbedingt günstiger, aber dafür vielseitiger. Denn Apps lohnen sich in der Regel nur für die Plattformen Android und iOS, wohingegen sich angepasste Webseiten auf allen modernen mobilen Plattformen sehen lassen können.

mobilbranche.de: Können Sie ein gutes Beispiel nennen, bei dem ein Angebot auch ohne App gut mobil erreichbar ist?

Ansgar Hein: Es gibt zahlreiche gute Beispiele. Auf kommunaler Ebene ist es beispielsweise die Internetseite der Stadt Moers, die auf mobilen Endgeräten sehr gut bedienbar ist und ganz anders wirkt, als die Variante im Desktop-Browser. Und im Bereich des Responsive Webdesigns überzeugt mich nach wie vor die Seite des „The Boston Globe“ – auch und gerade auf mobilen Endgeräten. Aber es geht auch eine Spur visueller. Aktuell arbeiten wir an einer Website, die mit Responsive Webdesign arbeitet und die einen sehr visuellen Charakter hat. Da die Seite noch nicht öffentlich ist, werden die Vortragsteilnehmer beim IICO ein paar exklusive Einblicke erhalten.

mobilbranche.de: Was ist für Sie der wichtigste Mobile-Trend 2012?

Ansgar Hein: Der Startschuss für Near-Field-Communication und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben werden. Ich denke da schon wieder in Richtung Barrierefreiheit und wie man mobile Endgeräte zur Orientierung in Museen und anderen Einrichtungen einsetzen kann, gerade auch für Zielgruppen, die sonst häufig außen vor bleiben. Mobile Endgeräte sind ja nicht nur was für junge und hippe Nutzer – das zeigt die überraschend hohe Quote von Senioren, die ein Smartphone besitzen.

mobilbranche.de: Vielen Dank für das Interview!

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