Mobile Moments: Was die neue Mediennutzung fürs Marketing bedeutet.

Von Daniel Rieber (adsquare) und Samir Reinert (TabMo)

Das Smartphone ist das persönlichste Endgerät und für viele seiner Nutzer längst zum First Screen avanciert. Während die Nutzung über den stationären PC vor allem durch längere, konzentrierte Sitzungen geprägt ist, begleitet das Smartphone seine Nutzer über den gesamten Tag hinweg und wird in einer Vielzahl von kurzen, gezielten Sessions eingesetzt. Diese Nutzungssituationen können als „Mobile Moments“ bzw. als „Micro Moments“ bezeichnet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich Nutzer in jedem Mobile Moment in einem anderen Kontext befinden können.

Dieses von der Fokusgruppe Mobile im BVDW initiierte Thesenpapier beschreibt die Auswirkungen der veränderten Mediennutzung auf die digitale Wirtschaft mit Schwerpunkt auf Mobile Advertising. Dabei wird sowohl die Perspektive der Nutzer als auch die der Werbetreibenden, Kreativ- und Mediaagenturen sowie der Technologieanbieter berücksichtigt.

1. Mobile Moments sind die neue Medienrealität und Nutzer erwarten eine personalisierte und an sie und ihren aktuellen Kontext angepasste Ansprache

Laut Kantar TNS besitzen bereits 86 Prozent der Onliner im Alter zwischen 16 und 65 Jahren ein Smartphone. In der jungen, werblich hochattraktiven Zielgruppe liegt die Nutzung von Smartphones sogar bei über 95 Prozent. Durchschnittlich verbringen Smartphone-Nutzer täglich 1,5 Stunden auf ihrem mobilen Endgerät, Millennials sogar mehr als 2,5 Stunden. 73 Prozent aller von Kantar TNS befragten Smartphone-User geben an, mehr oder weniger über den gesamten Tag hinweg online zu sein. Wie omnipräsent das Smartphone ist, zeigen auch aktuelle Zahlen von comScore: In Deutschland findet bereits 58 Prozent der gesamten digitalen Nutzung auf Mobilgeräten statt.

Aus diesen Studienergebnissen leitet sich ab, dass mobile Endgeräte eine zunehmend relevante Rolle im Alltag der Menschen spielen und sich eine hohe Zahl an Nutzungssituationen ergibt – und zwar jedes Mal, wenn ein User den Screen seines mobilen Devices entsperrt. Dies kann, je nach Nutzergruppe, bis zu 100 Mal am Tag geschehen. Jeder dieser Mobile Moments unterscheidet sich nach der jeweiligen Absicht, der zu erfüllenden Aufgabe, des Zwecks oder der Intention der Aktivität. Und je nach Art des Moments, je nach Kontext, je nach Mindset und
Intention ist der Nutzer empfänglich für relevanten Content und passende Werbung.

2. In der Analyse der Customer Journey müssen Mobile Moments und ihr Kontext berücksichtigt werden

Die heutige Customer Journey ist komplexer denn je und geprägt von einer Vielzahl an Offline- und Online-Touchpoints. Hierzu zählen beispielsweise die Kaufempfehlung in einem persönlichen Gespräch, die Nutzung von Suchmaschinen und Social Media, die Ansprache über digitale Werbung sowie letztendlich der Produktkauf im Ladengeschäft bzw. im Online-Shop. Während der digitale Markenkontakt in der Vergangenheit vor allem bei der stationären Nutzung auf dem PC oder Laptop stattfand, ist die Nutzungssituation heute in erster Linie mobil. Wer die Mobile Moments der Konsumenten in der Analyse der Customer Journey berücksichtigen möchte, muss
vor allem deren Kontext verstehen. Dieser kann über vier Parameter definiert werden:

  1. Die Motivation,
  2. die zur Verfügung stehende Zeit,
  3. der Aufenthaltsort sowie
  4. der Gemütszustand.

Jeder Mobile Moment kann als Kombination dieser vier Parameter gesehen werden und hat Einfluss auf das Marketing. So ist beispielsweise ein gelangweilter Nutzer im Wartezimmer eines Arztes, am Gate eines Flughafens oder während einer Bahnfahrt potenziell empfänglich für Markenkommunikation, da er über Zeit verfügt und die Motivation seiner Nutzung vorrangig Zeitvertreib und Unterhaltung sind.

3. Die Berücksichtigung der Mobile Moments im Advertising ermöglicht relevantere Werbung, die – richtig umgesetzt – von den Nutzern als weniger störend empfunden wird

Die Relevanz von Werbung wird durch zwei wesentliche Faktoren beeinflusst: Technologie und Kreation. Der Nutzer bekommt im richtigen Moment und in passender Nutzungssituation ein für ihn relevantes Produkt angezeigt. Um den „Mobile Moment” zu treffen, also den Moment der größtmöglichen Empfänglichkeit für mobile Werbung, ist die Einbeziehung von Echtzeitdaten und Kontext-Dimensionen unerlässlich. Targeting-Optionen wie Wetter, Standort oder Uhrzeit sorgen für eine dynamische Auslieferung des richtigen Creatives und präsentieren dem Kunden
wahlweise heißen Kaffee oder Eiskaffee inklusive Map-Navigation zum nächstgelegenen Coffee-Shop.

Neben der technologischen und der kreativen Komponente ist die Wahl des richtigen Werbeformats von essenzieller Bedeutung. Ads, die sich vollflächig über den Content legen, können den Nutzer in seiner Nutzungssituation stören. Neuere, Usability-konforme Formate bieten effektive und hochperformante Alternativen. Understitials oder Parallax Ads beispielsweise bauen sich mit dem Scrollvorgang langsam zu einem in den Content integrierten Werbemittel
auf. Der Nutzer kann so mit dem Werbemittel interagieren oder einfach darüber hinwegscrollen, ohne einen Close-Button betätigen zu müssen. Auch Native Ads oder Sonderformate wie App Take Overs bzw. Skins, bei denen die Werbung fest, aber nicht Content-überlagernd integriert ist, beeinflussen das Werbe-Erlebnis positiv und tragen wesentlich zu einem gelungenen „Mobile Moment” im Advertising bei.

4. Werbetreibende und Agenturen müssen die Mobile Moments ihrer Zielgruppe schon bei der Zielgruppendefinition, der Kreation sowie der Gestaltung der Medienpläne berücksichtigen

Ein gelungenes Marketing setzt es sich zum Ziel, dem Nutzer im entscheidenden Moment einen Mehrwert zu liefern und ihm relevante Informationen und Dienstleistungen möglichst schnell zugänglich zu machen. Hierfür benötigt man

  • a) relevante Informationen über den User,
  • b) dynamische Werbemittel,
  • c) eine Kommunikation in Echtzeit und
  • d) Kreation, die den Nutzer begeistert und dadurch animiert, sich überhaupt mit den Botschaften auseinanderzusetzen.

Dies bedeutet für die Definition der Zielgruppe, dass sie nicht auf Basis von soziodemografischen Daten bzw. Marktmediastudien definiert werden sollte, sondern idealerweise auf Basis von Daten, die einem einzelnen Nutzer zugeschrieben werden können (1st-, 2nd-und 3rd-Party-Daten). Denn der Einsatz dieser unterschiedlichen Datenquellen (also Behaviourdaten, Locationdaten, Wetterdaten, Zeitdaten usw.) ermöglicht den aktuellen Kontext des jeweiligen Users zu bestimmen und relevante Werbung auszuspielen. Eine solche Berücksichtigung unterschiedlicher Datenquellen und deren Verknüpfung sowie eine Kommunikation in Echtzeit kann nur
programmatisch erfolgen. Eine derart Audience-basierte Planung orientiert sich daher an den Moments bzw. der Customer Journey eines einzelnen Users und nicht an den Mediadaten von einzelnen Websites (Programmatic Advertising vs. Umfeldbuchung).

Und da eine solche Audience-basierte Planung eine sehr individuelle Ansprache ermöglicht, hat dies auch Konsequenzen für die Kreation. Denn wenn der konkrete Kontext eines Users berücksichtigt werden kann, dann muss sich auch der Inhalt der Nachricht diesem Kontext anpassen. Dieser Anforderung werden vor allem Dynamic Ads gerecht, die es ermöglichen, in Echtzeit ein individualisiertes Werbemittel zu kreieren, indem sie nach zuvor festgelegten Regeln auf einen Pool von zuvor produzierten Werbeelementen (Texte, Bilder) zurückgreifen und je nach User Elemente daraus individuell zusammenstellen, um ihm die genau passende Information für ebendiesen individuellen Moment zu liefern. Um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, ist es empfehlenswert, die programmatische Auslieferung möglichst früh im Prozess zu berücksichtigen und die Kreativagenturen zu involvieren.

5. Voraussetzungen für die Ansprache von Konsumenten im richtigen Mobile Moment sind die Verfügbarkeit von Daten sowie der Einsatz spezieller Technologien

Um den Mobile Moment des einzelnen Nutzers zu erkennen und zielger ichtet zu nutzen, bedarf es Daten, die über Nutzer und ihren Kontext Aufschluss geben. Hierzu zählen seine Location (unterwegs, zu Hause, auf der Arbeit, im Urlaub), das Wetter, die Uhrzeit oder andere äußere Umstände. Nutzer möchten stets für sich und ihr
en aktuellen Kontext relevante Informationen erhalten, wenn sie in einem Mobile Moment das Handy zücken. Daher sollte auch die Werbung darauf ausgerichtet sein. Um das Targeting auf die Mobile Moments von Konsumenten zu
ermöglichen, gibt es am Markt eine Vielzahl an spezialisierten Anbietern für mobile Daten. Das große Angebot, die zum Teil beträchtlichen Unterschiede bei der Datenqualität sowie die hohe Fragmentierung machen es Werbetreibenden jedoch schwer, die richtige Auswahl zu treffen, um beispielsweise einen Nutzer zu definieren, der gerade zu Hause im WLAN surft, bei dem es gerade regnet und der die letzten Wochen mehrfach im Reisebüro war. Hierfür bieten Data-Management-Plattformen (DMPs) bzw. auf den Handel von Daten spezialisierte Data Exchanges Zugriff auf Daten unterschiedlicher Anbieter sowie die Möglichkeit, Zielgruppen zu modellieren und auf
Einkaufsplattformen (DSPs) zu aktivieren.

Beim programmatischen Einkauf von Werbeplätzen ist es wichtig darauf zu achten, den Mobile Moment nicht zu einer negativen Erfahrung zu machen. Man sollte beispielsweise keine HD-Videos anzeigen, wenn der Nutzer aktuell eine sehr schlechte Verbindung hat. Es sollte auch keine Werbung für ein Restaurant oder Geschäft angezeigt und der Nutzer womöglich noch dorthin navigiert werden, wenn dieses gerade geschlossen ist oder sich nicht in seinem Umkreis befindet. Der Einsatz von programmatischen Plattformen mit Echtzeitdaten sollte stets unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzrichtlinien und Industriestandards erfolgen. Anbieter kennen die hierfür zu berücksichtigenden Maßnahmen. Für die Nutzung des aktuellen Aufenthaltsortes eines Nutzers beispielsweise müssen mobile Websites und Apps Nutzer zuvor explizit um die Erlaubnis zur Ortung bitten. Dieser Opt-in zählt
nicht nur für die Optimierung der eigentlichen Inhalte des Angebots, sondern auch für die angezeigte Werbung.

6. Mobile Websites und Landing-Pages müssen sowohl technisch als auch inhaltlich für die Mobile Moments von Konsumenten optimiert werden

Verbraucher, die passend zu einem individuellen Mobile Moment durch eine werbetreibende Marke erreicht worden sind, erwarten auch eine entsprechende Individualisierung auf der Zielseite, also der mobilen Website bzw. der Landing Page. In der Realität findet der Nutzer jedoch häufig eine statische Website vor, welche grundsätzlich für alle Besucher gleich aussieht. Findet man auf der Zielseite nicht sofort das beworbene Produkt, für das man Interesse gezeigt hat, macht der Nutzer sich selten die Mühe, danach zu suchen.

Oftmals verlassen Nutzer die Websites mit einer negativen Markenerfahrung. Erschwerend kommt häufig hinzu, dass die technischen Voraussetzungen ebenso nicht gegeben sind. Aktuell werden Erwartungen der Nutzer, wie etwa schnell ladende Inhalte oder nahtlos zu navigierende Seiten – besonders in den Mobile Moments – enttäuscht. So verlässt die Mehrheit der Nutzer Websites, welche deutlich länger als drei Sekunden laden oder umständlich zu navigieren sind. Mit der gewonnenen Mobilität der Internetnutzung gehen für Werbetreibende und Nutzern spezifische Herausforderungen der mobilen Nutzererfahrung einher.

Komplexe, bildlastige E-Commerce-Seiten werden über lückenhafte, oder – im Vergleich zu Breitband-Anschlüssen – relativ langsame Datenverbindungen übertragen. Werbetreibende müssen beachten, dass Nutzer mobile Websites ohne eine Maus nutzen und Formulare ohne eine Tastatur ausfüllen. Dazu ist zu berücksichtigen, dass Mobile Moments nur selten in einer schnellen WiFi-Umgebung stattfinden. Die Nutzererfahrung kann oftmals schon deutlich verbessert werden, indem man Bilder-, CSS- und HTML-Dateien komprimiert bzw. minimiert und die Darstellung des sichtbaren Teils der Seite optimiert. Darüber hinaus sollte man versuchen, unnötige Klicks des Nutzers möglichst zu reduzieren und Inhalte zielgruppengerecht darzustellen.

Für das Marketing ergibt sich aus der veränderten Mediennutzung die Notwendigkeit, die spezifischen Momente der Konsumenten zu verstehen und zu wissen, wann Werbung stört und wann sie einen Mehrwert liefern kann. Mobile ermöglicht Werbetreibenden eine hohe Reichweite und Marken eine Vielzahl zusätzlicher Touchpoints, verlangt aber von den Akteuren eine dezidierte Strategie und die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppen. Diese zu kennen und zu verstehen ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Adressierung der Mobile
Moments.

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4 Antworten zu “Mobile Moments: Was die neue Mediennutzung fürs Marketing bedeutet.”

  1. […] Neben der Verwendung von natürlichen Sprachmustern und ideal auf die Zielgruppe zugeschnittenen Long-Tail-Keywords ist es sehr wichtig, die eigene Seite so zu optimieren, dass sie schnell lädt, über eine responsives Design verfügt, dass sich allen Mobilgeräten perfekt anpasst und eine übersichtliche und benutzerfreundliche Oberfläche besitzt. Denn: es zeigt sich bereits jetzt, dass das Smartphone immer mehr zum „First Screen“ avanciert. […]

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