Amazonen im M-Payment: Vorsicht vor der Reiterei.

Key-PousttchiLiebe Mobile-Professionals,

gestern konnten Sie es auf mobilbranche.de lesen: Amazon hat das Square-Äquivalent GoPago (wenn auch ohne dessen Gründer) gekauft und steigt ins M-Payment-Geschäft ein. So wie die Drohnen-Lieferungen, die vor kurzem prominent durch die Medien gingen (wobei die Drohne der Deutschen Post eher der gelungene Versuch war, mit einem Fake-Trial zumindest medial mit Amazon gleichzuziehen), und eine Reihe anderer Entwicklungen in unserem Business, ist auch Amazons neuer Schachzug für die Hörer meiner Vorträge seit langem keine Überraschung mehr. Was also treibt der Deutschen Lieblings-Online-Kaufhaus ins M-Payment und was bedeutet dieser Schritt für die reale Welt?

Mich persönlich faszinieren ja Amazonen. Sie verbinden nicht nur Anmut mit Kampfkraft, sie haben die Regeln des Kampfes verändert. Anfangs unterschätzt und belächelt, eroberten sie sich schnell den Respekt der Welt. Allerdings: Wer ihnen im Wege steht, hat ein Problem. Unserem Buchhändler fehlen dafür zwar zwei Buchstaben, aber ein paar andere Parallelen sind doch erkennbar.

Vom Startpunkt des Buchversands ausgehend hat das Unternehmen aus Seattle (das übrigens nicht nur schlaflos, sondern z.B. auch die Heimat von Starbucks, Boeing, Kurt Cobain sowie der Bill-and-Melinda-Gates-Foundation ist) stets zunächst das aktuelle Geschäft perfektioniert. Am Anfang holperte etwa die Logistik so gewaltig, dass die Quelles, Neckermanns und Ottos dieser Welt in schallendes Gelächter ausbrachen. Inzwischen sind die ersten beiden nicht mehr da, der dritte ist im Höllentempo rechts überholt worden und die Amazon-Logistik inzwischen der Primus der Branche. (Kunststück, die Skaleneffekte sind enorm.)

Davon ausgehend haben sie fortlaufend neue Geschäftsfelder erschlossen, entwickelt und ebenfalls perfektioniert: Von Büchern über Elektronik zum Allround-Kaufhaus, vom IT-getriebenen Unternehmen zu einem führenden IT-Dienstleister, vom Verkäufer zum Vermittler, vulgo einer Plattform für Drittanbieter, denen wiederum von IT über Logistik und Payment alle Dienstleitungen angeboten werden: Bezahlen über Amazon? Klick. Systeminhärente Bezahlfunktion nennt das der Forscher und es fällt häufig gar nicht weiter auf (übrigens das beste Kompliment für ein Bezahlverfahren), aber de facto ist es natürlich E-Payment.

Amazon hat allein in Deutschland über 16 Mio. Kunden. Zu allen diesen Kunden gibt es eine bestehende Abrechnungsbeziehung, in der Regel seit Jahren und über eine Vielzahl von Transaktionen hinweg. Damit wird die Sache an dieser Stelle extrem einfach, Kosten und Risiko halten sich in Grenzen. Es ist eher Nutzung der vorhandenen Marktposition für Zusatzgeschäft als ein wirklich neues Geschäftsfeld.

Andererseits: Geld ist mit Payment dieser Art nicht viel zu verdienen, warum sollte man das tun und dabei auch noch in die komplizierte Welt des M-Payment einsteigen, zumal diese für das bisherige Kerngeschäft scheinbar wenig bringt?

Der einzig wirklich lohnende Grund für ein M-Payment 2013/2014 sind Kundendaten. Ich hatte Ihnen vor einiger Zeit das berühmte MasterCard-Beispiel zitiert, die mit ihren Payment-Daten in den USA besser vorhersagen können, wer sich in fünf Jahren scheiden lassen wird, als es die Person selbst kann. Amazon nun ist ein Pionier des Data Mining: „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch folgende anderen Bücher gekauft“ begleitet uns schon seit sehr vielen Jahren.

Data Mining und alle Spielarten des „Big Data“-Paradigmas gehören längst zu Amazons Kerngeschäft, sowohl in der Verarbeitung als auch in der Verwendung. Es ist eine Frage der Zeit, bis Amazon hier nicht mehr nur indirekt (durch Vermittlung von Drittanbietergeschäft auf seiner Plattform), sondern auch direkt Dienstleistungen anbieten wird. Und auch die Verwendung von Predictive-Analysis-Ansätzen zur Absatzförderung durch proaktive Kundenansprache wird Mainstream werden.

Bei der Übertragung seiner Dominanz aus der virtuellen in die reale Welt spielt Amazon jedoch (ebenso wie eBay) noch in der zweiten Liga. Was am dringendsten fehlt, sind Realweltdaten, über die Google und Apple durch ihre Kontrolle der Smartphone-Betriebssysteme verfügen. M-Payment ist ein guter Schritt auf diesem Weg – für Amazon ein folgerichtiger und alternativloser. Es gibt noch einige weitere, z.B. um den Kindle weiter aufzuwerten.

Heute steht der Kunde vor dem Regal im Kaufhaus, nimmt sein Smartphone aus der Tasche und schaut sich bei Amazon die Preise und Bewertungen für das gewählte Produkt an. Morgen kann Amazon dem Kunden ein passgenaues Angebot machen, bevor er weiß, dass er das Produkt braucht oder haben will. Bevor er in den Laden geht. Und genau zu der Zeit, wo er sich langweilt und für ein Angebot offen ist. Mit genau dem Werbefaktor, der bei diesem Kunden funktioniert.

Ob das Produkt dann mit einer Drohne geliefert wird oder nicht, ist übrigens zunächst weniger ein Convenience- als mehr ein Kostenfaktor: Die Kosten für derart automatische Zustellung sind einfach bis zu 90 Prozent geringer als für den manuellen Paketdienst. Weil kein Mensch mehr beteiligt ist. So einfach funktioniert das 21. Jahrhundert. Ob uns das gefällt oder nicht.

Übrigens, falls Sie vorhin über die Bill-and-Melinda-Gates-Foundation geschmunzelt haben: Ok, ich gebe es zu, sie ist nur deshalb auf der Liste, weil Microsoft selbst nicht in Seattle, sondern eine halbe Autostunde außerhalb sitzt. Netter Scherz am Rande: Mit den M-Payment-Verfahren, die sie in Entwicklungsländern fördert, hat diese Stiftung deutlich mehr M-Payment-Nutzer als alle deutschen Mobilfunkanbieter zusammen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein frohes Weihnachtsfest und bleiben Sie mobil!

Unterschrift Key Pousttchi

Ihr Key Pousttchi

Über den Autor:

Key Pousttchi ist einer der international führenden Mobile-Business-Experten. Er baute ab 2001 die Forschungsgruppe wi-mobile an der Universität Augsburg auf und ist bislang der einzige deutschsprachige Wirtschaftsinformatiker, der zum Mobile Business promoviert (2004 zu M-Payment) und habilitiert (2009 zum Einsatz von Mobile Business in Unternehmen und Angeboten für Endkunden) wurde. Vortragstätigkeit und Projekte führten ihn nach Nordamerika, Asien und Afrika, seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Er ist Inhaber der wi-mobile Dr. Pousttchi GmbH, in der Praxis als Strategieberater, Keynote-Speaker und Aufsichtsrat tätig sowie gefragter Gesprächspartner der Medien, von Deutschlandfunk und ZDF bis zur „New York Times“. 2013 holte er die International Conference on Mobile Business im zwölften Jahr ihres Bestehens erstmals nach Deutschland.

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