Mobile und Banking – der Feind in meinem Bett?

Key-PousttchiLiebe Mobile-Professionals,

die Banken tun sich schwer mit dem Siegeszug der mobilen Dienste bei Endkunden. Einerseits sind sie durch die neuartigen Einflüsse von Mobile und Social an manchen Stellen ziemlich verunsichert und orientierungslos. Andererseits sind sie – vorsichtig gesagt – mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet und zuweilen beratungsresistent. Eine muskelbepackte Dogge, die das Haus gegen ein Hochwasser verteidigt, kann man wahlweise als tapfer, tollkühn oder lebensmüde betrachten. Vielleicht ist sie von allem ein bisschen. Aber was halten wir von einem Kreditinstitut, das gute Apps entwickelt, modernes Facebook-Marketing betreibt und die strategische Dimension des mobilen Kanals dezent ignoriert?

Die Frage ist schwierig zu beantworten. Der Kunde kann im Wesentlichen auf drei Arten mit seiner Bank kommunizieren: direkt persönlich (z.B. Filiale, Telefon, E-Mail), direkt unpersönlich (z.B. Online-Banking, Websites, Bank-Apps) oder indirekt. Letzteres bedeutet, dass in der Kommunikation Dritte zwischengeschaltet werden (dies können etwa andere Nutzer von Foren oder Communities mittels Empfehlungen sein oder aber Berater oder Plattformen). Fragt man nun Experten aus Banken selbst, wie wir das in einer Delphi-Studie zur Wirkung neuer Medien auf Bankprozesse vor einiger Zeit getan haben, so schätzen sie das Verhältnis der Szenarien derzeit auf 80:18:2 und prognostizieren bis 2025 eine Veränderung bis auf 50:35:15 (in Prozent der Kunden, die das jeweilige Szenario überwiegend nutzen). In Anbetracht der Zusammensetzung des Panels – überwiegend Mitarbeiter ganz klassischer Filialbanken – kann man diese Prognose wohl als konservativ bezeichnen.

Für den strategischen Blick bietet es sich an, noch einmal aus einer anderen Dimension darauf zu schauen, der generellen Nutzung von IT in Banken. Seit den Kinderschuhen der EDV haben Banken hier immer zu den Vorreitern gehört.  Zu Beginn ging es dabei nur um interne Prozesseffizienz (z.B. Kontenverwaltung oder Risikobewertung). In einer zweiten Phase wurden Dienstleister und Kunden in die zuvor rein internen Prozesse einbezogen und immer größere Teile an beide ausgelagert. Für den Kunden begann dies mit dem Geldautomaten und endet bei dem noch andauernden Bestreben, durch Electronic Banking nahezu jede Routine-Interaktion zu automatisieren – immer noch mit dem Fokus Prozesseffizienz. Jede dieser Phasen umfasste etwas mehr als 20 Jahre, jede dieser Phasen ermöglichte es den Banken, die störende und kostspielige persönliche Interaktion mit dem Kunden zu reduzieren. Wer will auch so viel Personal bezahlen? Und überhaupt – Kundenservice ist ja schön und gut, aber wenn schon Personal, dann doch bitte mit einer wertschöpfenden Tätigkeit: Vertrieb statt Beratung. Voilà, die moderne Bank. In der macht sich die neue App ebenso gut wie das Facebook-Angebot.

Das Internet-Zeitalter – also die komplette elektronische Durchdringung des Kundenalltags, zunächst stationär mit dem PC und nun immer stärker ubiquitär mit Smartphones – markiert allerdings eine dritte Phase, die sich von den zwei vorangegangenen deutlich unterscheidet, indem sie die Informationsasymmetrie aufhebt: Plötzlich verfügt der Kunde über die gleiche Information wie der Standard-Bankberater. Plötzlich kann der Kunde die weitgehend standardisierten Angebote vergleichen. Der vielzitierte „ROPO“-Kunde („research online, purchase offline“) hat erkannt, dass sein Berater eigentlich ein Vetriebler ist, und sieht ihn nun nicht mehr als Ratgeber, sondern als Verhandlungspartner. Falls er noch hingeht. Aber alles halb so schlimm, liebe Banker: Der Abkürzung „ROPO“ können Sie auf Ihren Folien problemlos weiterverwenden, falls das zweite „O“ einmal seine Bedeutung verändern sollte.

Dabei geht es nicht um den simplen Wechsel des Kunden zu einer Online-Bank, es geht um die oben angesprochene Wendung der Kunden zu unpersönlichen und indirekten Kanälen. Plattformen wie finanzblick oder figo geben einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie der Kunde von morgen mit seinen Finanzen umgehen könnte – anbieterübergreifend und auf dem Smartphone immer griffbereit. Wer weiß, wie und warum Nutzer mobile Dienste verwenden, ahnt, wohin das führen könnte…

Dazu kommen nun zwei weitere Effekte, die miteinander verwandt sind. Der erste wird unter Bankern intensiv diskutiert. Die Börsen-Zeitung fasste es neulich trocken zusammen mit „Nichtbanken wildern im Revier der Geldhäuser“ (ein sehr lesenswerter und fast ganzseitiger Artikel, in dem es um die Bedrohung klassischer Retail-Banken durch neue, technologieorientierte Player geht).

Der zweite Effekt ist Mobile-spezifisch und fällt dem Banker nur auf, wenn er abseits des Tagesgeschäftes Gelegenheit hat, weit über den Tellerrand hinaus zu sehen: In der mobilen Welt von morgen geht es ausschließlich um Kundendaten, um Prognostizierbarkeit des Kundenverhaltens und um Empfehlungsmacht. Die Frage „Wem gehört der Kunde?“ ist plötzlich nicht mehr branchenspezifisch, sondern querschnittlich auf das ganze Leben des Kunden bezogen. Und nur eine Seite gewinnt. Vergleichen Sie das Wissen, das Apple, Google, Facebook und einige andere heute über den Kunden sammeln, mit dem Wissen des Bankberaters über seinen Kunden, sieht die Bank sehr alt aus. (Btw, auch die Mobile-Payment-Diskussion erscheint dann in einem anderen Licht.)

Im Moment wird dieses Wissen nur sehr eingeschränkt genutzt – die Internet-Konzerne sind auch nicht immer so schnell wie sie sein könnten und fassen nicht immer gleich alles richtig an. Das wird sich in den nächsten Jahren jedoch rasch ändern. Und Banken, die keine wirklich persönliche Kundenbeziehung mehr besitzen (kleiner Prüfstein: Wie oft haben Sie den Kunden in den letzten drei Monaten persönlich gesehen oder gesprochen?), könnten plötzlich feststellen, dass es sich mit ihrer Marktmacht doch nicht so viel komfortabler verhält als einst in der Musikindustrie… In jedem Fall wird im Bankgeschäft in 10 bis 15 Jahren (für die meisten Banken) kein Stein mehr auf dem anderen sein.

Ein Trost bleibt: Sie werden vermutlich erst die übernächsten sein, die von der mobilen Revolution überrollt werden. Weiter vorn in der Reihe stehen die Handelskonzerne, die dem Problem (zumindest in Deutschland) noch deutlich ahnungsloser gegenüberstehen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bleiben Sie mobil!

Ihr

Unterschrift Key Pousttchi

Über den Autor:

Key Pousttchi ist einer der international führenden Mobile-Business-Experten. Er baute ab 2001 die Forschungsgruppe wi-mobile an der Universität Augsburg auf und ist bislang der einzige deutschsprachige Wirtschaftsinformatiker, der zum Mobile Business promoviert (2004 zu M-Payment) und habilitiert (2009 zum Einsatz von Mobile Business in Unternehmen und Angeboten für Endkunden) wurde. Vortragstätigkeit und Projekte führten ihn nach Nordamerika, Asien und Afrika, seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Er ist Inhaber der wi-mobile Dr. Pousttchi GmbH, in der Praxis als Strategieberater, Keynote-Speaker und Aufsichtsrat tätig sowie gefragter Gesprächspartner der Medien, von Deutschlandfunk und ZDF bis zur „New York Times“. 2013 holte er die International Conference on Mobile Business im zwölften Jahr ihres Bestehens erstmals nach Deutschland.

Seminar zu Mobile und Banking:

Die Veränderungen im Online-Banking durch Mobile und die daraus resultierenden Gefahren und Chancen für Banken stehen im Mittelpunkt eines mobilbranche.de-Seminars am 30. Oktober 2013 in Berlin. Leiter des Seminars ist André M. Bajorat. Er ist Co-Founder der diese Woche gelaunchten Banking-App figo.

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